Analyse
Machtverschiebung im Kaukasus – Warum verlor der Westen das Interesse an Bergkarabach?
Der Westen kann niemandem in Eurasien territoriale Integrität garantieren; alle seine Versprechen sind Bluffs. Ja, der Westen ist immer noch in der Lage, Russland ernsthaften Schaden zuzufügen – auch auf Kosten der Zerstörung eines ganzen Landes (wie es jetzt im Fall der Ukraine geschieht). Aber etwas zu bewahren, zu schützen, aufzubauen, zu schaffen, zu organisieren … Das ist nichts für die Westler.
Doch kehren wir noch einmal zum Thema Südkaukasus zurück.
Wenn wir eine echte Integration des eurasischen Raums wollen, brauchen wir einen schlüssigen Plan und nicht nur eine Reihe von – wenn auch manchmal wirksamen – Vergeltungsmaßnahmen. Wir müssen proaktiv sein. Der Westen selbst glaubt nämlich überhaupt nicht an seine Versprechen gegenüber den Nachbarländern Russlands, die den Weg der direkten geopolitischen Russophobie einschlagen. Was auch immer sie sich dabei ausdenken, reicht es dem Westen aus, dass ein Konflikt ausgelöst wird. Und wenn dabei ein Verbündeter zerrieben, zerstückelt und verwüstet wird, macht ihm das nichts aus. Für Russland hingegen sind sie weit mehr als das. Auch ohne das Pathos der Völkerfreundschaft sind sie einfach Teil unseres gemeinsamen, vereinten Landes. Diese Völker teilen mit uns ihr historisches Schicksal. Ganz gleich, wie sehr die vom Westen bezahlten verräterischen Eliten sie vom Gegenteil überzeugen.
Wenn der Westen jetzt eine zweite Front gegen Russland im Südkaukasus eröffnen will, wird ihm dies, insbesondere angesichts des Scheiterns der ukrainischen Gegenoffensive, recht leicht fallen.
Paschinjan selbst, der ein Armenien führt, das noch immer mit Russland verbündet ist, steht vollständig unter westlicher Kontrolle. Er hat Bergkarabach aufgegeben und keinen Finger gerührt, um die Armenier dort zu schützen. Er hat sein Land in den Ruin geführt, und der Westen war offensichtlich darauf vorbereitet und hat ihn auf jede erdenkliche Weise dabei unterstützt.
Die Paschinjans kommen und gehen, doch das Volk bleibt. Wird es für uns Russen moralisch vertretbar sein, ruhig zuzusehen, wie Armenien in ein blutiges Chaos versinkt – wie Libyen, Irak, Syrien und die Ukraine?
Es ist unproduktiv, darauf zu warten, dass die Armenier aufwachen und erkennen, dass ein solcher Machthaber für Armenien katastrophal ist. Aber sie wachen einfach nicht auf und schreien nur von Soros vorbereitete Slogans vor unserer Botschaft und verbrennen russische Pässe. Dies ist nur ein – der offensichtlichste – Punkt der mutmaßlichen Brandstiftung im Kaukasus.
Viele befürchten, dass die Türkei, die sich als vollwertiger Mitstreiter Aserbaidschans beim Sieg in Bergkarabach sieht, im Südkaukasus in einer für Russland unfreundlichen Weise aktiver werden wird. Meistens sind diese Befürchtungen übertrieben, denn die Türkei will vorrangig ihren Einfluss im östlichen Mittelmeerraum, im Gebiet des ehemaligen Osmanischen Reiches, stärken und bewahren. Dies stellt für sie höchste Priorität dar. Erst danach – und meist auf Druck der NATO und der USA – folgen Ankaras Pläne für den Kaukasus oder die turkstämmige Welt Eurasiens. Die Türkei ist kein direkter Gegner Russlands. Sollte der Südkaukasus jedoch aufflammen, wird jeder auf sich allein gestellt sein.
Analyse
Westlich dominierte Welt ist vorbei und kommt nicht zurück – Blinken beerdigt alte globale Ordnung
Jedenfalls befinden wir uns im Südkaukasus in einer schwierigen Situation. Der Westen kann ihn jederzeit in die Luft jagen, wenn er beschließt, eine zweite Front zu eröffnen. Und uns wird nichts anderes übrig bleiben, als zu reagieren. Ja, manchmal gelingt uns das ganz gut – alle Planungen des Gegners brechen zusammen und bewirken das Gegenteil. Das kommt vor. Aber nicht immer.
Deshalb sollten wir keine Zeit verlieren und eine umfassende und entschlossene strategische Planung in Angriff nehmen: Wie soll der Südkaukasus aussehen und wie können wir dieses Bild in die Realität umsetzen? Und gleichzeitig sollten wir endlich eine Entscheidung über den gesamten postsowjetischen Raum treffen. Wenn wir wollen, dass er freundlich und verbündet oder zumindest neutral ist, dann müssen wir ihn so gestalten. Er wird es nicht von selbst – wenn dies nicht bald passiert, wird er es nie mehr werden.
Es ist an der Zeit, dass Russland in die Offensive geht. In der Ukraine, im Südkaukasus, in ganz Eurasien. Wir brauchen einen offensiven Realismus sowie entsprechende Pläne, kalte und nüchterne Analysen und wirksame, streng kontrollierte Aktionen.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen auf RIA Nowosti am 10. Oktober 2023.
Alexander Dugin ist ein russischer Philosoph.
Quelle