Quelle: Sputnik © Pressedienst des Verteidigungsministeriums des RF Zehntausende ukrainischer Soldaten und Offiziere sind inzwischen durch russische Kriegsgefangenschaft gegangen. Nur wenige haben sich für einen Seitenwechsel entschieden, die Mehrzahl kehrt nach einem Gefangenenaustausch in die Reihen der ukrainischen Armee zurück.
Von Alexander Sladkow
Viele Menschen in Russland hatten zu Beginn der militärischen Sonderoperation die Hoffnung, Teile der ukrainischen Armee würden gegen das prowestliche Regime aufbegehren und würden sich der russischen Armee anschließen – in einem großen Akt der Befreiung vom angelsächsischen Neokolonialismus und vom Maidan-Nationalismus. Ja, sogar viele unserer (politischen wie militärischen) Pläne wurden von dieser Hoffnung geleitet.
Das Erhoffte ist aber nicht geschehen, und es ist jetzt klar, dass es nicht geschehen konnte. Denn in der antirussischen Frage sind sich die Ukraine und der Westen in vielerlei Hinsicht mittlerweile sehr nahe. Gleichzeitig sollte man sich darüber im Klaren sein, dass, wenn es schon zu Beginn des Krieges in der Ukraine kein Aufbegehren gegen das Regime gab, dies jetzt erst Recht nicht der Fall sein wird. Wir sollten keine Illusionen mehr haben – wir werden bis zum Ende kämpfen müssen.
Analyse
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Die ukrainische Armee ist eine vollwertige Armee. Ja, sie ist kriminell, und ja, sie besteht größtenteils aus Leuten, die dort nicht sein wollen. Aber sie ist eine Armee. Sie ist ein System, und dieses System weiß, wie man den Einzelnen auf Linie hält, und darüber habe ich schon viele Male geschrieben. Selbst wenn sich jemand davonstehlen möchte, wird das System ihn nicht lassen. Für das Überlaufen größerer Einheiten zu Russland, braucht man nicht nur den Willen der Soldaten, sondern auch eine Verschwörung der Offiziere. Aber die Offiziere sind Männer, die durch den Krieg mit Russland (den die Ukraine bereits seit neun Jahren führt) motiviert und erzogen wurden. Sie wollen den Krieg gegen Russland nicht nur – sie sind persönlich unmittelbar von ihm abhängig. Alles, was sie haben, ihre Stellung in der Gesellschaft, ihr Einkommen, ist mit diesem Krieg verbunden.
Ja, in den ukrainischen Truppen gibt es eine große Zahl von Menschen, die dort nicht kämpfen wollen, und mit jeder weiteren Mobilisierungswelle werden es mehr sein. Aber sie wollen auch nicht den einen Krieg gegen den von der anderen Seite eintauschen. Und schon gar nicht den aktuellen Feind gegen einen offenbar stärkeren. Und selbst wenn das nicht der Fall ist, sind sie sich dessen nicht so sicher.
Und wenn wir wirklich auf eine Verschwörung der höheren Offiziere hoffen, dann sind für sie all diese Gegenargumente noch von größerem Gewicht. Die hochrangigen Offiziere sind nicht mehr die früheren Berufssoldaten aus Friedenszeiten, die den Krieg fürchteten (so wie wir vor Beginn der Sonderoperation Angst vor dem Krieg hatten, seien wir ehrlich). Die heutigen Top-Generäle haben nach 2014 Karriere gemacht und wurden von der aktuellen politischen Führung an die Spitze befördert.
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Der Krieg ist in der Ukraine ein politischer Faktor, und die Offiziere sind durchaus ziemlich öffentliche und politische Persönlichkeiten. Außerdem haben sie eine jahrelange NATO-Schule durchlaufen und sind an die Befürwortung der NATO gewöhnt. Und die sollen sich an einer Verschwörung gegen die NATO beteiligen? Nicht zu Beginn des Krieges und erst recht nicht jetzt, wo die Frontlinie stabil ist.
Nehmen wir einmal an, es gäbe Menschen, die zur Verschwörung bereit sind (etwa wie Stauffenberg). Warum sollte es sie geben? Was bieten wir ihnen an, außer dem alten Narrativ eines feindlichen Westens, den sie nicht mehr als solchen ansehen? Auf welche Weise könnten sie solche Aktionen durchführen? Wir haben schon oft gesehen, dass der ukrainische und westliche Geheimdienste und die Spionageabwehr sehr effektiv arbeiten. Sie verschlafen solche großangelegten Verschwörungen ganz sicher nicht.
Theoretisch wäre eine Verschwörung in der Armee denkbar im Angesicht einer offensichtlichen und unmittelbar bevorstehenden Niederlage und des beginnenden Zerfalls der staatlichen Institutionen der Ukraine. Aber davon zeichnet sich derzeit nichts ab, so wie es auch keine starke Führungspersönlichkeit gibt, die in der Lage wäre, diejenigen zu führen und zu vereinen, die in dem Konflikt die Seite wechseln wollten.
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Diejenigen, die diese Rolle gerne übernehmen würden und sich geradezu vordrängeln, sind offen gesagt nicht dafür geeignet, sondern sorgen eher dafür, dass die Ukrainer weiter kämpfen werden, um sich nicht unter solchen “Führern” wiederzufinden. Wo man eine Persönlichkeit finden könnte, die in angemessener Art ein “Komitee für eine freie Ukraine” leiten könnte, ist die große Frage. Es ist wichtig zu begreifen, dass die NATO – auch wenn sie für einen Russen heute eindeutig ein äußerer Feind ist – für einen heutigen Ukrainer keineswegs ein Feind ist. Jedenfalls jetzt noch nicht.
Es gibt auch einen rein innenpolitischen, aber sehr wichtigen Grund dafür, warum es zu keinen Umsturzbestrebungen kommt. Im Moment finden die Kämpfe in Regionen der Ukraine statt, die weit von der Heimat der meisten ukrainischen Kämpfer entfernt sind. Wenn sie sich aber entscheiden würden, die Seiten zu wechseln, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie irgendwann ihre Familien unter Beschuss nehmen und ihre eigenen Häuser zerstören müssten. Und das hoffen sie immer noch zu vermeiden.
Die Ideologie ist zwar wichtig, aber ihre Familien und Häuser sind für die große Mehrheit der Soldaten und Offiziere noch wichtiger. Wenn wir die Heimatregionen der Kämpfer befreien und halten würden, wäre vielleicht auch ihr Wunsch stärker, die Seite zu wechseln. Vergebung zu ernten und nach Hause zurückzukehren wäre ein starker Anreiz.
Kurzum, im Moment sollten wir nicht auf eine Verbrüderung an der Front warten.
Übersetzt aus dem Russischen
Alexander Sladkow ist ein langjähriger Kriegsreporter im Dienste der staatlichen russischen Rundfunkanstalt WGTRK.
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