Quelle: www.globallookpress.com © Fu Tian/XinHuaChery, eine der chinesischen Automarken, die den Markt in Russland übernahmen
Von Elem Chintsky
Wer erinnert sich nicht an den Massenauszug westlicher Großunternehmen und multinationaler Konzerne aus der Russischen Föderation, nachdem Moskau im Februar 2022 seine “vollkommen unprovozierte, plötzliche Invasion” in der Ukraine begann? Am vergangenen Montag erinnerte das russische Nachrichtenportal Gazeta.Ru, dass es sich damals um 560 dieser Unternehmen gehandelt hatte, die “moralisch empört, zeitlosen Prinzipien folgend und trotzig” Russland verließen. Dazu gehörten unter anderen der bekannte Fast-Food-Generator McDonald’s, der britische Öl- und Erdgasgigant Shell, der spanische Kleider-Vertreiber Zara oder auch die modernen Autoproduzenten Nissan und Toyota. Außerdem wurde im Juni 2022 so hart durchgegriffen, dass der einzige russische Teilzeit-Angestellte der weltgrößten Porno-Website Pornhub als Social-Media-Marketing-Spezialist fristlos entlassen wurde. Pornhub gehört dem digitalen Porno-Imperium und “Weltverbesserer” Aylo (ehemals Mindgeek) an – seit 2023 im Besitz der kanadischen Investitionsmanagementfirma Ethical Capital Partners (zu Deutsch: Ethische Kapitalpartner). Einer der Co-Gründer von Ethical Capital Partners ist wiederum der nicht-praktizierende, orthodoxe Rabbi Solomon Friedman, der stattdessen früher als Strafverteidiger “äußerst zwielichtige Charaktere” vor Gericht vertrat, die “der sexuellen Misshandlung, des Kinderpornografie-Besitzes oder der Trunkenheit am Steuer bezichtigt wurden”.
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Wie man also unschwer erkennt, wurden der russischen Gesellschaft und Volkswirtschaft nahezu irreparable Schäden mit dieser westlichen Firmenflucht zugefügt. Spaß beiseite. Den präzedenzlosen Umständen der letzten drei Jahre entsprechend konnte sich Russland – wie viele Male berichtet und laufend dokumentiert – ausgesprochen gut anpassen und kompensiert diese Sanktionssymptome laufend, während die militärische Sonderoperation in der Ukraine weiter läuft.
Jetzt sollen bis zu 350 der entrückten Unternehmen erneut nach Russland zurückkehren – noch im Jahr 2025. Zum Vergleich: Bereits bis zum zweiten Quartal 2022 kehrten 15 ausländische Unternehmen zurück. Im vierten Quartal 2024 waren es bereits 235 Unternehmen.
Auch die Causa der Marketing-Budgets, von der der Grad der öffentlichen Aufmerksamkeit der russischen Konsumgesellschaft abhängt, ist im Prozess wiederbelebt zu werden. So zitiert Gazeta.Ru den Strategiechef der Kokoc Group, Roman Kasychanow:
“Wir gehen davon aus, dass die Marketingausgaben und der gesamte Markt für Marketingdienstleistungen in Russland im Jahr 2025 wachsen werden. Die meisten Marken, die 2022 den Markt verlassen haben, waren die größten in ihren Kategorien und führend in allen Parametern – sie gaben den Ton in der Kategorie an, dominierten die Köpfe und Regale. Mit ihrem Ausscheiden haben sich die Marketing-Budgets fast halbiert.”
Sofern sich die Budgets damals tatsächlich geradezu halbiert haben, weist das direkt auf den enormen russischen Markt hin, auf den diese westlichen Marken aus ideologischen Gründen verzichten mussten. Dahin ist die westliche Wirklichkeitskonstruktion, welche anderswo besagt, dass Russland ein irrelevanter Absatzmarkt sei.
Es bleibt die Frage, wie Russland diese “Rückkehr” weiter betreuen wird. Nun sind sehr qualitative, heimische, russisch-gegründete Firmen im Anmarsch, was die russische Volkswirtschaft stärkt. Wird den westlichen Konglomeraten wieder Vorzug gegeben, würde das das russische Unternehmertum, welches ab Februar 2022 eine regelrechte Renaissance erlebt, erneut abbremsen und beschneiden. Russische Firmen, die zum Beispiel die Marke ZARA ersetzt haben, sind Lime und SELA. Das Mutterunternehmen von ZARA – Inditex – verkaufte seine gesamten Vermögenswerte in Russland an die nahöstliche Daher-Unternehmensgruppe, die seit dem Herbst 2022 unter anderem die Kleidermarke MAAG gegründet hat.
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Bei den abhandengekommenen westlichen Automarken seien die russischen Kunden um einiges treuer, obwohl über 60 Prozent des Marktes durch chinesische Marken ersetzt wurden. “Wenn also der hypothetische Toyota morgen ein Comeback beschließe, wäre es für ihn ein Leichtes, die Gunst der Käufer zurückzugewinnen. Die lange Abwesenheit in den Medien und die veränderten Marktbedingungen können jedoch den Prozess der Rückkehr von Dienstleistungsmarken in Kategorien mit hoher Kauffrequenz, wie Windeln oder Haustierprodukte, ernsthaft erschweren”, so die Analyse der Kokoc Group. Dieselben Experten weisen tatsächlich auch auf die veränderten Marktbedingungen hin, die für das Jahr 2025 prognostiziert werden. Dazu gehören ein Rückgang des BIP-Wachstums und das Anheben des Leitzinses durch die russische Zentralbank, was beides das Risiko einer Wirtschaftsstagnation in Russland erhöhen könnte. Demnach würde sich die Kaufkraft der Kunden verringern und der Wettbewerb innerhalb der Unternehmen verschärfen, um die zahlungsfähigen Nachfragenden zu befriedigen. Das heißt, außer potenziellen regulatorischen Hürden, die der russische Staat bürokratisch auffahren könnte, würde auch die generelle Verfassung des Marktes den “demütigen Rückkehrern” eine anspruchsvolle Herausforderung bieten.
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.