Meinung

Der Kampf gegen links?

Der Kampf gegen links?

Quelle: Gettyimages.ru © Jacob Wackerhausen/iStock/Getty Images PlusÜbersetzungsbedürftiges, pseudo-linkes Vokabular – mit dem sich ausschließlich und nicht von ungefähr politische Konzepte aus den USA verbinden (Symbolbild)

Von Tom J. Wellbrock

Ob “links-grün”, “grün-versifft” oder “linksversifft” – derlei Bezeichnungen erweisen Kritik an der herrschenden Politik einen Bärendienst. Denn sie implizieren eine Definition von Linkssein, die mit linken Werten und Überzeugungen nichts (mehr) zu tun hat. Die menschenverachtende Politik lässt sich somit in das humanistische Licht eines verantwortungsvollen Handelns heben. Dort gehört sie aber definitiv nicht hin.

Margarete Stokowski vom Spiegel fühlt sich wohl, wenn sie schreibt:

“Linke werden oft als ‘versifft’ beschimpft. Warum diese Fantasie des Drecks? Die aktuelle Rechte erträgt nur strenge Ordnung, nicht lebendige, vermischte Realität – und orientiert sich historisch an Hitler.”

Stokowski ordnet sich als links ein und macht keinen Hehl daraus, dies als Privileg zu empfinden. Dabei hat sie weder für “rechts” noch für “links” eine brauchbare Definition, sondern legt sich die Begriffe zurecht, wie es ihr gerade passt. Rechts, das ist für Stokowski die “strenge Ordnung”, während links zu sein in ihren Augen eine “lebendige, vermischte Realität” sein soll. Damit hat sie zwar ein griffiges Schwarz-Weiß-Bild gezeichnet und ihre reaktionäre Grundeinstellung durch Sprache versteckt. Ihr faschistoides Menschenbild besteht aber weiterhin, wie sich im Verlauf dieses Textes zeigen wird.


Analyse

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“Linkssein” als Zwangserscheinung

Wer alles, was seinem Weltbild nicht entspricht, als rechts bezeichnet, hat keine andere Wahl, als sich dem linken Spektrum zuzuordnen, er hat sich den Weg zu Traditionen, zu einer gewissen Ordnung, zu Werten wie etwa dem der Familie selbst verschlossen.

Bleiben wir zur Untermauerung dieser Annahme bei der Spiegel-Autorin. Sie berichtet von einer Podiumsdiskussion mit dem Buchautor Klaus Theweleit, der 1977/78 das Buch “Männerphantasien” veröffentlicht hat. Stokowski schreibt in ihrem Text dazu:

“Ein Klassiker, der untersucht, wie Faschisten denken und sprechen, wie sie mit Frauen umgehen und mit sich selbst; vor allem mit den eigenen Körpern. Eine zentrale These Theweleits ist, dass man Faschismus nur versteht, wenn man ihn nicht als Staatsform denkt, sondern als eine Art und Weise ‘die Realität zu produzieren’: Faschisten haben, wie Theweleit zeigt, immer wieder ähnliche Ideen im Umgang mit Körpern, mit Geschlechtern und letztlich mit allem Lebendigen.

Dabei geht es nicht darum, Ideologien zu entpolitisieren und zu zeigen, dass am Ende alle Nazis einfach nur zurück in den Mutterschoß wollen, sondern darum, ihr Reden und Handeln so zu analysieren, dass man besser versteht, wie ihre Verbrechen zustande kommen. Die Abwehr von vermeintlichem Schmutz, Schlamm, Sumpf, Schleim und ähnlichem nimmt in ‘Männerphantasien’ mehrere Kapitel ein. Es gibt darin zahllose historische Beispiele dafür, wie Faschisten über Nichtfaschisten sprechen: ‘grade als die marxistischen Schlammwellen am höchsten gingen, bildete sich in München ein geistig bewußter Kern des deutschen Widerstandes.’ Oder: ‘Deutschland, versinkend im roten Sumpf’, und so weiter.

Theweleit fasst diese Formulierungen von Sumpf, Brei, Schleim so zusammen, dass sie sich immer wieder auf Substanzen beziehen, die definiert sind ‘durch ihre Fließfähigkeit und durch ihren Zustand der Vermischtheit’, außerdem durch die ‘Fähigkeit, Dinge in sich aufnehmen zu können, ohne sich dadurch zu verändern’ – ‘Ihnen eignet also eine merkwürdige Lebendigkeit, sie können sich selbst bewegen, mal schnell, mal langsam, wie sie wollen’.

Nun ist aber die Abwehr des Lebendigen ein Kernanliegen von Faschisten. ‘Die Gefahr ist die Lebendigkeit selbst’, schreibt Theweleit. Alles, was chaotisch und vermischt ist, was unklar definiert ist, ist ihnen zuwider. ‘Je lebloser, geordneter, monumentaler die Realität erscheint, desto sicherer fühlen sich diese Männer.'”

Hitler als Vorbild

Für Stokowski kommt die Bezeichnung “versifft” (wahlweise “links-versifft” oder “grün-versifft”) tief aus dem Repertoire der Nazis. Ihren Ursprung sieht sie bei Adolf Hitler. Nach einer kurzen Herleitung bezüglich der Definition und des Ursprungs über “Syph” und “Syphilis” schreibt sie: “Hitler sprach in ‘Mein Kampf’ von der ‘Versyphilitisierung des Volkskörpers’, von der ‘Bekämpfung der Syphilis als die Aufgabe der Nation’.”

Es liegt nahe, dass sie kurz danach anmerkt:

“Jörg Meuthen, Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl, sprach auf dem Bundesparteitag im April 2016 davon, dass er weg wolle vom ‘links-rot-grün verseuchten 68er-Deutschland, von dem wir die Nase voll haben. … man könnte auch sagen: leicht versifften 68er-Deutschland'”.

Abgesehen davon, dass auch Meuthen (sollte Stokowski ihn korrekt zitieren) auf die falsche Interpretation von “Linkssein” hereinfällt, ist das Manöver der Spiegel-Autorin so simpel wie durchschaubar, denn sie schafft es kurze Zeit später, sich in vermeintlich linke Höhen aufzuschwingen, wenn sie die Reaktionen auf Meuthens Worte wie folgt beschreibt:

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“Diese Worte lösten auf dem Parteitag entzückten Jubel und Standing Ovations aus: Endlich sagt es mal einer, dass all den Krawattennazis diese Welt zu viel ist, die sich bewegt und in der die Menschen nicht mehr strammstehen und auf Befehle warten, in der Frauen und queere Leute sprechen, vögeln und regieren können und sich mit anderen fortpflanzen als ihnen – dass ihnen diese Welt zu kompliziert geworden ist und sie Angst haben, in ihr zu versinken.”

Stokowski liefert damit eine gänzlich falsche und unsinnige Definition des Linksseins, wie sie es versteht und wie sie sich darin wohlfühlt. Es ist keineswegs links, wenn “queere Leute sprechen, vögeln und regieren können”, sondern im konkreten gesellschaftlich breit anerkannten Fall lediglich der manipulative (und leider erfolgreiche) Versuch, von den wirklichen Problemen abzulenken, die linkes Denken beeinflussen sollten.

Um das Perfide an dieser Methode aufzuzeigen, sei Rainer Mausfeld zitiert:

Man könnte einwenden, dass Mausfeld doch Stokowski gar nicht widerspricht, im Gegenteil. Wie die Spiegel-Autorin spricht auch er sich für die Gleichwertigkeit aus, für den “universellen Humanismus”. Doch eben das tut Stokowski nicht. Gleichwertigkeit setzt voraus, die Zentren der Macht einzugrenzen. Stokowski und ihresgleichen tun dagegen das genaue Gegenteil. Sie haben es sich in den Zentren der Macht bequem gemacht, kritisieren diese nicht und stellen sie schon gar nicht in Frage.

Stattdessen malen sie jede Kritik an der bestehenden (Un-)Ordnung braun an und bezeichnen sie als potenziellen oder faktischen Faschismus.

Zudem: Um Gleichwertigkeit zu erzielen, braucht es gleiche Chancen, muss die soziale Frage in den Mittelpunkt der Überlegungen gerückt werden. Durch das Gerede über die unzähligen Möglichkeiten queerer Personen und eine Art gesundes Chaos, das mit Vielfalt gleichgesetzt wird, verschwindet das Soziale in der Versenkung. Vermutlich wird das sogar jede queere Person bestätigen können, die einem prekären Job nachgehen oder in einen am 20. des Monats leeren Kühlschrank schauen muss.


Meinung

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Wenn man das Linkssein am heutigen woken und identitätspolitischen Grundverständnis festmachen will, kann man als Mensch, der Gleichwertigkeit fordert, wirklich nur auf Abstand gehen zu dieser Form des Linksseins. Viel wichtiger ist es jedoch, dieses Linkssein als Nichtlinkssein zu enttarnen und auf den neoliberalen und reaktionären Charakter dieser Weltanschauung zu verweisen.

Bei genauer Analyse müsste man aus den Überlegungen Stokowskis folgern, dass die grundlegende politische Richtung etwa der Bundesregierung links sei. Das könnte unsinniger kaum sein. Die Ampel-Regierung und ihre Vorgänger sind zutiefst neoliberal und faschistisch, denn die Kombination aus physischer Gewalt und neoliberaler, auf Konzerninteressen basierender Politik hat schon Augusto Pinochet in Chile auf erschreckende Weise unter Beweis gestellt, einem Land also, das man als Geburtsort des radikalen Neoliberalismus bezeichnen kann. Durch seine Weiterentwicklung wurden die Praktiken verfeinert, und der deutsche Neoliberalismus braucht nur wenig physische Gewalt, um seine Brutalität zu zeigen. Er setzt in aller Regel auf psychische Gewalt, Ausgrenzung, Verarmung und Meinungseinengung, und aus der gebündelten Macht einer Einzelperson wie Pinochet ist die eines Kollektivs dem Kapital höriger Politiker geworden, die ihre faschistoiden Überzeugungen hinter der Fassade der Demokratie verstecken.

Genau das tut auch Stokowski, wenn sie in ihrem Artikel abschließend schreibt:

Wenn es heute um Rechte und Rechtsextreme geht, dann finden sich immer schnell Leute, die sagen, man dürfte die nicht alle Nazis nennen, weil sie ja doch nicht so schlimm und totalitär seien wie die Nationalsozialisten in den Dreißiger- und Vierzigerjahren und dass man da immer auch differenzieren müsse. Nun stimmt es vielleicht, dass nicht alle, die ihre Gegnerinnen und Gegner als ‘links-/rotgrün versifft’ bezeichnen, durch und durch Faschisten und Faschistinnen sind.

Aber wenn man schon genau sein will, dann muss man auch sehen, dass heute Begriffe in die Alltagssprache sehr vieler Menschen übergegangen sind, die direkt aus dem Faschismus kommen und bei denen sich eine klare Linie zu Hitler ziehen lässt, die offensichtlicher ist, als viele sich wohl wünschen würden, die heimlich immer noch auf einen Führer warten, der sie an die Hand nimmt.”

Das Linkssein erhalten

Stokowski dient hier nur als Beispiel einer Denkrichtung, die das Gegenteil von links ist, einer politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Praxis, die vielleicht nicht einmal rechts oder rechtsradikal im klassischen Sinne ist, aber zutiefst menschenfeindlich und skrupellos. Ausgrenzung gehört zu dieser Denkrichtung ebenso dazu wie die Verarmung einer gerade so zu “akzeptierenden” Menge von Teilen der Bevölkerung.


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All die Beteuerungen der Vielfalt und die Toleranz gegenüber queeren Personen bei einer gleichzeitigen “Befehlserteilung” bezüglich der gesellschaftlichen Akzeptanz bis hin zur Selbstaufgabe der eigenen Traditionen und Wertevorstellungen haben weder etwas mit Menschlichkeit zu tun, noch führen sie zu einer gesunden und solidarischen Gesellschaft. Wir erleben die aus dieser Politik resultierenden Spaltung jeden Tag.

Linkssein bedeutet, gegen die Ungerechtigkeit zu kämpfen, gleiche Chancen bei ungleicher Herkunft zu ermöglichen, die soziale Frage in den Fokus allen politischen Denkens zu stellen und abweichende Meinungen nicht nur zu akzeptieren, sondern als Bereicherung und gesellschaftliches Potenzial zu sehen und anzuerkennen.

Über das Rechtssein kann und muss man ausgiebig diskutieren und streiten. Das Linkssein jedoch durch eine manipulative Sprache von seinen Wurzeln zu trennen, sollten Menschen, die links denken und fühlen, nicht mit sich machen lassen.

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.

Quelle

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