Meinung
Frankreich: Wird der “republikanische Damm” Le Pens Wahlsieg noch verhindern?
Die Landkarte mit den Wahlergebnissen spiegelt diese Vielfalt perfekt wider. Die Nationale Sammlungsbewegung gewinnt in den Kleinstädten und in ländlichen Gebieten (bei den Bedauernswerten). In den mittelgroßen Städten wird die Mehrheit der Stimmen wahrscheinlich an sozialistische Kandidaten gehen (die idealistischen Kleinbürger, die sich für die Umwelt einsetzt und den Kampf gegen den “Faschismus” zu ihrem Lebenssinn erklärt haben).
In den großen Vorstädten von Paris, Marseille und Lyon werden Abgeordnete des “Rebellischen Frankreich”, (der Partei “La France insoumise”, die sich an die eingewanderte Bevölkerung wendet) gewählt. Die zentralen Bezirke von Paris und Lyon werden zu den letzten Bastionen des Macronismus sein (mit der gut an die Globalisierung angepassten Oberschicht). In Marseille schließlich, wo Macrons Wählerbasis äußerst klein ist, wird sich “La France insoumise” dem “Rassemblement Nationale”, der Nationalen Sammlungsbewegung, gegenüberstellen, die “Bedauernswerten” gegen die “Barbaren”. Nach den Ergebnissen der ersten Runde zeichnet sich eine Spaltung des Landes und des Parlaments in drei große Blöcke ab.
Die höchste Wahlbeteiligung seit vierzig Jahren zeigt den Wunsch und die Hoffnung der Wähler auf ein qualitativ anderes Kabinett, das die aktuelle Politik radikal verändern wird. Unabhängig davon, wie die gewählte Mehrheit ausfällt, ist es jedoch unwahrscheinlich, dass diese Erwartungen erfüllt werden.
Die Opposition kann in ihren Worten noch so radikal sein, wenn es um Taten geht, kann sie keine echte Alternative zur Politik ihrer Vorgänger bieten. Dies lässt sich auch in anderen europäischen Ländern beobachten, in denen “Extremisten” an die Macht gekommen sind. Die französische extreme Rechte und extreme Linke haben ihre Kritik an Brüssel sehr abgeschwächt, und sollten sie an die Macht kommen, ist ihre relativ reibungslose Integration in die gesamteuropäischen Strukturen wahrscheinlicher als ein Versuch von Paris aus, radikale Reformen durchzuführen (wie sie die Vertreter der Nationalen Sammlungsbewegung und auch von La France insoumise kürzlich noch forderten). Die Erklärungen und Aktionen der Opposition können lautstark und demonstrativ sein, sie können Unruhen und Proteste auslösen, sie können zu innerem Chaos führen. Sie werden den allgemeinen Entwicklungstrend aber höchstwahrscheinlich nicht umkehren können.
Kürzlich stellte der Wirtschaftswissenschaftler Frédéric Farah fest: “In den letzten Jahrzehnten haben wir wiederholt erklärt, dass sie unabhängig von der Mehrheit an der Macht ungefähr die gleichen Maßnahmen umsetzen, was zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und einer stabilen Beschäftigung, zum Abbau der öffentlichen Dienstleistungen, zu mehr Armut, zur Verringerung der industriellen Basis des Landes, zu strategischer Verwundbarkeit und zum Aufstieg des Populismus führt.” Die Ergebnisse des 7. Juli kann man also wohl mit den Worten begrüßen: “Der Macronismus ist tot, es lebe der Macronismus!”
Die Autorin Dr. Natalija Rutkewitsch ist Journalistin und Expertin zum Thema Modernes Frankreich.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Russisch bei Russia in Global Affairs am 1. Juli 2024.
Quelle