Analyse
Russische Raumfahrt vor neuen Aufgaben – vor militärischen wie wissenschaftlichen
Bemerkenswert dabei ist, dass Gagarin, von Beruf Gießer, vom Generalsekretär der Gewerkschaft der Gießereiarbeiter nach Großbritannien eingeladen worden war. Dort aß er allerdings auch mit dem britischen Premierminister Harold Macmillan zu Mittag, legte am Grab von Karl Marx in London einen Kranz nieder und frühstückte mit der Queen. Die Queen willigte sogar angeblich protokollwidrig für ein gemeinsames Foto ein. Gagarin war zu diesem Zeitpunkt kein Irdischer mehr auf dieser Welt.
Am 15. Juli kehrte Juri nach Moskau zurück, war aber bereits am 20. desselben Monats nach Polen unterwegs. Nachdem er dort den 17. Jahrestag der Befreiung des Landes von der Nazi-Invasion begangen und an einer Kundgebung mit der polnischen Jugend teilgenommen hatte, kehrte er am Abend des 22. Juli erneut nach Moskau zurück. Um Mitternacht des darauffolgenden Tages war er dann bereits wieder auf dem Weg über den Atlantik, besuchte Island, Kanada und natürlich Kuba, wo es eine gigantische Jubelfeier und einen Empfang durch Fidel Castro gab. Anschließend reiste er weiter nach Curaçao, dem folgte Brasilien, und er kehrte auf demselben Weg zurück nach Russland. Dann im August wurde er in Ungarn gefeiert, im November in Indien und in Sri Lanka und schließlich im Dezember in Afghanistan.
Das alles ging ziemlich lange so weiter: Ägypten, Libyen, Ghana, Liberia, Griechenland, Zypern, Österreich, Japan, dann erneut Finnland, gefolgt von Dänemark und Frankreich, zurück nach Kuba und anschließend über Mexiko in die DDR. Und schließlich waren dann im Oktober 1963 auf Einladung des UN-Generalsekretärs die USA an der Reihe, gefolgt von Schweden, Norwegen und zum zweiten Mal Frankreich.
Überall gab es feierliche Versammlungen, Empfänge, Kundgebungen, Reden und Abendessen mit Monarchen und Würdenträgern. In Norwegen fuhr der Kosmonaut zum Fischen aufs Meer hinaus und besuchte auf Wunsch norwegischer Seefahrer das Edvard-Grieg-Museum. Gagarin lebte fast drei Jahre lang mit solchen verrückten Tagesabläufen. Es wurde überliefert, er habe in dieser Zeit damit begonnen, auch dem Alkohol zu sehr zuzusprechen, während er zugleich seine frühere fliegerische Routine einbüßte.
Zu schnell, zu rücksichtslos
Schließlich verschwand allmählich Gagarins Name wieder von den Titelseiten der Weltmedien. Und für Gagarins größter Förderer, Nikita Chruschtschow, begann dagegen eine unruhige innenpolitische Situation, die schließlich in seinem Rücktritt mündete.
Der mittlerweile 30-jährige Oberst Gagarin, der auf dem Höhepunkt seines Ruhms stand, wollte sich wieder an ein normales Leben einfügen. Zwischen seinen Reisen besuchte er Kurse an der Schukowski-Akademie der Luftstreitkräfte. Seine größte Herausforderung bestand doch darin, sich auf einen möglichen nächsten Weltraumflug vorzubereiten und zum dauerhaften Dienst als Kampfpilot zurückzukehren.
Juri Gagarin, Held der Sowjetunion, Kosmonaut der UdSSR, mit seiner Frau Valentina und seiner Tochter Galina. Yuryi Abramochkin / Sputnik
Jedoch wurde festgestellt, dass er im Laufe der Jahre seiner Weltreisen die Qualitäten als Piloten verloren hatte und neu trainiert werden musste. Als ein Element dieses Prozesses fand am 27. März 1968 ein Routineflug statt. Mit diesem Flugzeugtyp war Juri völlig vertraut – es war die Trainingsvariante einer MiG-15 – mit einem zweiten Sitz im Cockpit für einen Ausbilder hinter dem Piloten und mit zusätzlichen Treibstofftanks versehen.
Der Ausbilder an diesem fatalen Tag war Wladimir Serjogin, ein erfahrener Pilot erster Klasse, dem während des Großen Vaterländischen Krieges für seine Einsätze der Heldenstern verliehen worden war. Man ging davon aus, dass er in einem Notfall die Kontrolle über das Flugzeug übernehmen könne. Eine Besonderheit bei dieser Trainingsversion einer MiG-15 war, dass der Ausbilder hinten der Erste war, der den Schleudersitz hätte betätigen können, und dass der Pilot vorne ihm unmittelbar danach automatisch folgen würde. Im Normalfall verläuft dieser Vorgang umgekehrt: Erst zieht der Pilot, dadurch wird der Co-Pilot aus der Maschine geschleudert und nahezu gleichzeitig folgt dem der Pilot in seinem Schleudersitz.
Russische Botschaft wirft USA Verzerrung des Andenkens an Juri Gagarin vor
Das Wetter an diesem Tag war zwar ungemütlich, aber für eine einfache Flugübung noch akzeptabel – tief hängende Wolken mit einigen Kilometern freier Sicht darüber und darüber erneut dichte Wolken. Das Flugzeug von Gagarin und Serjogin startete um 10:18 Uhr vom Tschkalowski-Militärflugplatz. Die Mission hätte ungefähr 20 Minuten dauern sollen. Aber bereits um 10:30 Uhr meldete Gagarin den erfolgreichen Abschluss der Aufgaben und bat um Erlaubnis, den Flug zu beenden und zur Basis zurückzukehren. Von da an gab es aber von dem Flugzeug kein Lebenszeichen mehr.
Die Suche nach der Absturzstelle dauerte ziemlich lange. Sie wurde schließlich um 14:50 Uhr etwa 65 Kilometer vom Startplatz und 18 Kilometer von der Stadt Kirshatsch entfernt in der Region Wladimir gefunden. Am darauffolgenden Tag nahm die staatliche Untersuchungskommission ihre Arbeit auf.
Die schockierende Nachricht über den Tod des ersten Menschen im All, die groß angelegte Untersuchung sowie die Geheimhaltung all ihrer Ergebnisse lösten zahlreiche Gerüchte über die Ursachen dieser Tragödie aus. Einige glaubten, dass womöglich der allmächtige KGB beschlossen hatte, die populäre Ikone zu beseitigen. Andere spekulierten gar über einen Zusammenstoß mit einem UFO. Und natürlich gab es auch die unvermeidliche Vermutung, dass der Pilot und der Ausbilder vor ihrem Abflug ein Glas Wodka zu viel getrunken hätten.
Vernünftigere Theorien sahen die gefährliche Annäherung eines anderen Flugzeugs, das eine Trainingsmission in demselben Luftraum durchführte, was dazu geführt haben könnte, dass das Flugzeug von Gagarin in die Wirbelschleppe des Triebwerks von jenem Flugzeug geraten sei, was zu einem Strömungsabriss oder Triebwerksausfall bei Gagarins Flugzeug geführt haben könnte. Es wurde auch die Theorie aufgestellt, im Cockpit hätte es aufgrund einer Kollision mit einem Wetterballon einen rasanten Druckverlust gegeben.
Ein Denkmal an der Stelle des Absturzes, an der Kosmonaut Juri Gagarin und sein Trainer, Wladimir Serjogin, ums Leben kamen. V. Kuzmin / Sputnik
Die logischste Abfolge scheint jedoch immer noch jene zu sein, wonach der Grund für den Absturz auf einen Pilotenfehler und mangelhafte Wetterdaten zurückzuführen ist. Nach vielen unspektakulären routinemäßigen Flugmanövern soll Gagarin seine Flugroute bei akzeptabler Wolkendecke doppelt so schnell durchflogen haben, als er es eigentlich tun sollte, meldete anschließend der Bodenkontrolle, dass er zurückkehren wolle und tauchte dann in eine dichte Wolkendecke ein. Nach seinen eigenen und auch jenen Berechnungen von Serjogin hätten sie dann aus der Wolkendecke in etwa 900 Metern Höhe über dem Erdboden auftauchen müssen. Aber die Wolkendecke war inzwischen tiefer gesunken und als die Piloten endlich den Erdboden zu dicht unter sich sahen, blieb ihnen keine Zeit mehr, um mit viel Schwung und Schubkraft den Sturzflug abzufangen und der katastrophalen Situation zu entkommen, obwohl beide Offiziere wohl bis zum letzten Moment darum kämpften, das Flugzeug zu stabilisieren.
Das Selbstbewusstsein eines weltberühmten Fliegerasses, das sich mehr an all die Feiern, Empfänge und an seine Außergewöhnlichkeit gewöhnt hatte, gepaart mit unglücklich schnell veränderter Witterung hat höchstwahrscheinlich zu dem tragischen Unfall geführt. Die Banalität dieser Version erklärt vermutlich auch ihre lange Geheimhaltung. Die Sowjets wollten wohl einfach nicht eingestehen, erst den ersten Menschen in den Weltraum gebracht zu haben, um es danach dummerweise zu versäumen, ihn angemessen zu beschützen. Es war somit besser, auch noch viele Gerüchte unter den Leuten zirkulieren zu lassen, als die ganze Welt simple fliegerische Fehler wissen zu lassen, die bei der Vorbereitung und Durchführung eines routinemäßigen Trainingsflugs gemacht worden waren.
Gagarin und Serjogin wurden am Tag nach ihrem Tod eingeäschert. Ihre Asche wurde in einem Urnengrab der Nekropole an der Kremlmauer in Moskau beigesetzt.
Übersetzt aus dem Englischen .
Anatoli Brusnikin ist ein russischer Historiker und Journalist.
Quelle