Meinung

Der Westen stellt in der Ostsee die wichtigsten Schifffahrtsregeln in Frage

Der Westen stellt in der Ostsee die wichtigsten Schifffahrtsregeln in Frage

Quelle: Sputnik Symbolbild

Von Andrei Kolesnik

Die “regelbasierte Weltordnung” hat einen neuen Riss bekommen. Der polnische Premierminister Donald Tusk erklärt:

“Wir werden gemeinsam an rechtlichen Möglichkeiten arbeiten, die es erlauben, Schiffe (in der Ostsee) zu kontrollieren, die sich außerhalb von Hoheitsgewässern befinden, und das ist jetzt das größte Problem.”

Das “gemeinsam” bezieht sich auf alle NATO-Länder in der Ostseeregion, das heißt das Baltikum, Skandinavien und Nordeuropa.

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Meinung NATO in der Ostsee: Rechtsbruch mit Ansage

Aber wovon genau spricht Tusk? Was genau bezeichnet er als “das größte Problem”?

Er spricht von den Regeln der internationalen Schifffahrt, die sich über Hunderte von Jahren entwickelt haben. Darüber hinaus wurden diese Regeln einst vom Westen als einer Gemeinschaft, die große geografische Entdeckungen gemacht und die Weltmeere erschlossen hat, geschaffen und in der ganzen Welt verbreitet. Diese Regeln, die heute im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen kodifiziert sind, werden als universell betrachtet und gelten überall auf der Welt, in Friedens- und Kriegszeiten.

Einer der wichtigsten Grundsätze des internationalen Seerechts lautet, dass das Meer jenseits der Zwölf-Meilen-Zone allen gehört – vorausgesetzt natürlich, es wird friedlich für die Handels- und Berufsschifffahrt genutzt. Dies ist im UN-Übereinkommen über die Hohe See verankert. Die Freiheit der Schifffahrt ist eine Grundvoraussetzung für den gesamten internationalen Handel und die internationalen Beziehungen auf unserem Planeten, der zu einem großen Teil von den Weltmeeren bedeckt ist. Niemand kann ein Handelsschiff in neutralen Gewässern ohne besondere, klar definierte Gründe (Verletzung der Gesetze eines Küstenstaates in dessen Hoheitsgewässern) aufhalten oder kontrollieren.

Jetzt macht die NATO deutlich, dass diese Regeln für alle gelten sollen, außer für Russland. Die NATO richtet dazu eine spezielle Ostsee-Patrouillenmission ein, die in der Ostsee patrouillieren soll.

Grund dafür ist das regelmäßige Unterbrechen von auf dem Meeresboden liegenden Kabeln, für das angeblich Russland verantwortlich sein soll. Dabei spielt es keine Rolle, dass die Beteiligung der verdächtigten Schiffe und ihrer Besatzungen in keiner Weise bewiesen ist. Oder dass die verdächtigten Schiffe nicht unter russischer Flagge segeln. Oder auch, dass Zehntausende solcher Kabel auf dem Meeresboden verlegt sind und es immer wieder zu Rissen kommt, denen niemand jemals viel Aufmerksamkeit geschenkt hat. Russland wurde mit dem schon bekannten westlichen Argument “highly likely” für alle derartigen Vorfälle, zumindest in der Ostsee, verantwortlich gemacht. Genauer gesagt, für alle Schiffe, die russische Häfen verlassen, unabhängig vom Heimathafen und den Flaggen, unter denen diese Schiffe segeln.

Jeder Versuch, ein russisches Handelsschiff in neutralen Gewässern festzuhalten, ist eine offene Kriegserklärung. Daher wird es natürlich keine derartigen Versuche auf Schiffen unter russischer Flagge geben. Es ist jedoch durchaus möglich, dass bereits in naher Zukunft alle anderen Handelsschiffe, die unter der Flagge anderer Staaten segeln, und vor allem solche, die russisches Erdöl transportieren, in der Ostsee festgehalten und durchsucht werden. Diese Schiffe werden vom Westen als “Schattenflotte” bezeichnet.

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Nach Gipfel: NATO will Präsenz in Ostsee “radikal” verstärken

Aus Angst vor einem offenen militärischen Konflikt mit einer Atommacht nutzt die NATO die skandinavischen und baltischen Staaten als Sperrgebiet für russische Erdölexporte. Das ist ein Versuch, die russischen Seehandelsrouten durch die Ostsee zu zerschlagen. Unter Androhung von Verzögerungen, Durchsuchungen und Beschlagnahmungen sollen die Reedereien gezwungen werden, überhaupt nicht mehr in russische Häfen einzulaufen. Damit will man dem russischen Haushalt die Einnahmen aus dem Seeverkehr entziehen, den russischen Staat und jeden russischen Bürger ärmer machen.

Dabei hat der Westen zwei entscheidende Umstände erkannt. Erstens: Die Sanktionen gegen russische Erdölexporte greifen derzeit nicht. Russisches Öl wird erfolgreich an die Abnehmer geliefert, vor allem auf dem Seeweg, auch über die Ostsee.

Und da die Sanktionen nicht greifen, will die NATO die Ostsee für Tanker rein physisch blockieren. Mit militärischen Mitteln. Das einzige Hindernis, das dem entgegensteht, ist das Fehlen einer rechtlichen Grundlage. Zumindest eine Art Deckmantel, ein Feigenblatt, irgendetwas, das einem legitimen Grund für die Umgehung des internationalen Seerechts ähnelt. Bislang hat der Westen noch keinen solchen Vorwand gefunden.

Zweitens interessiert die “regelbasierte Weltordnung” im Westen schon niemanden wirklich. Auch interessiert sich niemand im Westen für die Konsequenzen, die ein Verstoß gegen internationale Seeverkehrsabkommen unweigerlich nach sich ziehen wird. Der Westen beruft sich gerne auf Präzedenzfälle – und jede gewaltsame Aktion in den neutralen Gewässern der Ostsee wird das gesamte System und die Tradition der rechtlichen Grundlagen des internationalen Seehandels zu Fall bringen.

Es gibt also de facto keine “Ordnung” und auch keine “Regeln” mehr. Es gibt nur noch Gewalt, und unter dem Gesichtspunkt der Sicherung der russischen Schifffahrt und des Handels vor allem militärische Gewalt.

Russland muss daher mit einer groß angelegten Erneuerung und Erweiterung der Baltischen Flotte beginnen. Korvetten und U-Boote fertigstellen, die Stützpunkte in Baltijsk und Kronstadt verstärken, die Luftverteidigung und Raketenabwehr ausbauen, insbesondere gegen Drohnen, einschließlich Überwasserdrohnen. Es bedarf einer Wiederbelebung der Marinefliegerei als Hauptschlagkraft der Flotte. Wir müssen uns auf die Errichtung von Minensperren gegen die kombinierte Flotte der NATO in der Ostsee vorbereiten. Und darauf, dass jedes Schiff, das zu Handelszwecken russische Häfen anläuft, möglicherweise von einem Militärkonvoi begleitet werden muss.

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Schlachtfeld Ostsee: “Die NATO muss in der Lage sein, russische Infrastruktur zu zerstören”

Russland wurde durch den Zugang zur Ostsee zu einer Weltmacht – er ist genau jenes “Fenster nach Europa”, das Peter der Große aufgestoßen hat. Katharina II. führte Russland auf die Krim und öffnete damit ein zweites “Fenster” über das Schwarze Meer. All dies waren Wege zum Atlantik. Unter Alexander III. gelang dem Russischen Reich mit dem Bau der Transsibirischen Eisenbahn der vollständige Zugang zum Pazifischen Ozean – sowohl im wirtschaftlichen als auch im militärischen Sinne. Heute kann Russland nur dann eine Weltmacht bleiben, wenn es seine vollwertigen Möglichkeiten für den Seehandel verteidigt. Und die Ereignisse in der Ostsee sind eine Herausforderung dieser Größenordnung.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 16. Januar 2025 zuerst auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.

Andrei Kolesnik ist Veteran der Spezialeinheiten der russischen Seestreitkräfte und Abgeordneter der Staatsduma.

Quelle

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