Meinung

“Die Ukraine ist eine Leiche” – Kiews Propagandisten fliehen aus dem Land

"Die Ukraine ist eine Leiche" – Kiews Propagandisten fliehen aus dem Land

Quelle: AFP © Chung Sung-JunSymbolbild

Von Wladimir Kornilow

Die Tatsache, dass heute in der Ukraine eine düstere Stimmung herrscht, bemerken praktisch alle westlichen Reporter, die dorthin kommen. An einen Sieg über Russland glaubt trotz der ständigen Beteuerungen der offiziellen Propaganda kaum noch jemand. Ein Korrespondent der britischen The Times betont einen drastischen Kontrast zu den Emotionen, die in Kiew Ende des vergangenen Jahres herrschten.

Die Meldungen von der Front erschrecken die Anhänger des Westens. Als “kaum zu ertragen” bezeichnete sie der Korrespondent der Bild, Paul Ronzheimer. Führen wir uns einmal allein die Tatsache vor Augen, die ein anonymer ukrainischer Offizier, der im Gebiet Charkow kämpft, der Times berichtete:

“Ich gebe den neuen Jungs nicht einmal Funknamen. Die meisten von ihnen überleben nicht lange.”

Man kann sich den Charakter der Kämpfe ausmalen, wenn die Offiziere Neueingezogene a priori für Kanonenfutter halten.

Indessen berichten die Journalisten über die wachsende Kluft zwischen der bravourösen ukrainischen Propaganda und der Wirklichkeit. So schreibt Ronzheimer:

“Die offiziellen Aussagen passen immer weniger zu dem Bild, das offiziell in Pressekonferenzen oder Interviews gezeichnet wird.”

Besonders bezeichnend ist vor diesem Hintergrund die Flucht von gerade denjenigen Propagandisten, die den Ukrainern lange Zeit Siegesbilder von der Front gezeichnet hatten und nun jede Möglichkeit ergreifen, um ins Ausland zu fliehen.

Im November verkündete eines der Hauptsprachrohre des Selenskij-Regimes – Alexei Arestowitsch, der noch vor Beginn der russischen Militäroperation unglaubliche Siege der Ukraine vermeldete – öffentlich seine Flucht aus der Ukraine. Immer und immer wieder behauptete dieser Propagandist, dass Russland kurz vor dem Zusammenbruch stehe. Jetzt ist er irgendwo auf den Straßen von New York anzutreffen.

Und wie sich der Ton seiner Ankündigungen geändert hat! Jüngst verlautbarte er in einem Interview, ohne mit der Wimper zu zucken:

“Die Ukraine gibt es nicht mehr. Diese Ukraine ist eine Leiche. Mögen jetzt die Toten ihre Toten begraben.”

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Arestowitsch sagte dies mit seiner monoton ruhigen Stimme, genau so, wie er noch vor einem Jahr behauptete: “Russland hat schon verloren.” Dabei sprach er so, als wäre er an der Verwandlung seines Landes in eine “Leiche” gänzlich unbeteiligt.

Ende der vergangenen Woche wurden ukrainische Medien von einer weiteren Flucht schockiert. Alexei Petschij, Mitglied der ukrainischen Delegation auf dem jüngsten EU-Gipfel in Brüssel, verkündete öffentlich seine Nichtrückkehr ins Land. Dem ausländischen Publikum wird dieser Name wenig sagen, doch in der Ukraine ist er wohlbekannt. Als einer der Moderatoren des ganztägigen “TV-Marathons” verließ er kaum die Fernsehbildschirme.

Praktisch jeden Tag erschien dieser Propagandist im ukrainischen Fernsehen und berichtete den Zuschauern von unglaublichen “Siegen” der Ukraine. “Moskau wird brennen!” “Russland verlässt das linke Dnjepr-Ufer!” “Die Streitkräfte der Ukraine haben die Verteidigung der Besatzer durchbrochen”, behauptete er noch vor wenigen Wochen. “Russische Drohnen greifen das Gebiet der NATO an”, schüchterte er die westlichen Verbündeten der Ukraine ein. Man kann die Perlen dieser recht primitiven und eintönigen Propaganda sehr lange zitieren. Jeden Tag eine neue Sensation!

Und nun schockierte Petschij sein Publikum mit der Ankündigung:

“Ich habe eine für mich schwierige Entscheidung getroffen und verstehe, dass mich in der Ukraine öffentliche Missbilligung erwartet.”

Der Propagandist behauptete, dass er in Europa bleibe, um “die ukrainische Agenda in der westlichen Gesellschaft zu fördern.” So also nennt man heute Fahnenflucht.

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An dieser Stelle sei betont, dass es für Männer im wehrfähigen Alter sehr schwierig ist, die Ukraine zu verlassen. Die Menschen greifen zu allen möglichen Kniffen, um aus diesem kollektiven Gefängnis zu fliehen. Manche geben sich als Frauen aus; manche versuchen, kolossale Bestechungsgelder zu zahlen, um die Grenze zu passieren; manche riskieren ihr Leben bei der Durchquerung von Wäldern und Flüssen in den Karpaten; manche schließen fiktive Ehen mit Frauen mit Behinderungen oder kinderreichen Müttern. Gerade weil sie wissen: Wenn sie an die Front geschickt werden, werden sie nicht einmal einen Funknamen erhalten.

Wenn es schon dem Ex-Präsidenten Pjotr Poroschenko nicht gelang, sein Land zu verlassen, haben rangniedrigere Bürger noch viel weniger Chancen dazu. Petschij fand einen Weg. Nun nennen ihn Kollegen einen “Helden der Kesselschlacht von Brüssel” und vermuten, dass die ukrainischen Medien von nun an hauptsächlich Frauen auf Auslandsdienstreisen schicken werden. Alle verstehen, dass Petschijs Mitstreiter auf dem Feld der Propaganda ihm folgen könnten.

Die Flucht aus der Ukraine wurde zu einem Massenphänomen. Der Stand-up-Komiker Andrei Schtschegel, der das Land in diesem Jahr verließ, verkündete unverblümt:

“Es ist die Wahl der Jungs, zu sterben.”

Er selbst habe es vorgezogen, “wie eine Ratte zu fliehen” (im Original nutzte Schtschegel ein derberes Verb). Vor Kurzem räumten ukrainische Medien selbst ein, dass 40 bis 60 Prozent der Diplomaten nicht von Auslandsdienstreisen zurückkehrten. Auch wenn das Außenministerium in Kiew diese Angaben eifrig dementierte, glaubten nur wenige daran: Offizielle Ankündigungen werden immer weniger für bare Münze genommen. Und ganz sicher wird die Flucht derjenigen, die diese offiziellen Ankündigungen nicht nur verbreitet, sondern generiert haben, das Vertrauen nicht stärken.

Das Schiff der ukrainischen Staatlichkeit geht rapide unter. Gerade deswegen nutzen die Ratten jede Möglichkeit, um dieses Schiff zu verlassen. Was mit denjenigen passiert, die ihretwegen an unmögliche “Siege” zu glauben begannen, kümmert sie ganz und gar nicht:

“Mögen jetzt die Toten ihre Toten begraben.”

Aus New York oder Brüssel kann man jetzt freilich mit ruhiger Stimme, ohne einen Hauch von Verantwortlichkeit für diese Toten zu spüren, die Wahrheit sagen.

Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei RIA Nowosti.

Wladimir Kornilow ist ein sowjetischer, ukrainischer und russischer Politologe, Geschichtswissenschaftler, Journalist, Schriftsteller und gesellschaftlicher Aktivist. Ehemals Leiter der ukrainischen Filiale des Instituts der GUS-Staaten in Kiew und Leiter des Zentrums für Eurasische Studien in Den Haag. Nach seiner scharfen Kritik am Euromaidan musste er aus der Ukraine flüchten und arbeitet seit 2017 als Kolumnist bei Rossija Sewodnja. Er führt eine Telegram-Kolumne zu aktuellen politischen Nachrichtenanlässen.

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