Die europäische Einstellung gegenüber Russland war schon immer sehr widersprüchlich: Zum einen wurden wir zu einer Bedrohung für Europa erklärt (und das unter jedem Regime – ob imperial, kommunistisch oder gegenwärtig), und zum anderen blickten sie auf unsere Territorien auf der Suche nach einem Lebensraum für die europäischen Völker. Der Konflikt um die Ukraine ist nur das aktuellste Beispiel für den “Drang nach Osten”: Europa erklärte einfach jenen Teil des russischen Landes zu seinem Besitz, der eine “europäische Wahl” getroffen hatte, mit der ebendieses Europa einfach rechnen und diese Wahl gegen die russischen Imperialisten verteidigen musste. Durch die Konzentration auf die Ukraine verlor Europa jedoch anderswo an Einfluss – und zwar an Orten, die es traditionell als seine eigenen betrachtet hatte.
“Russland nimmt unseren Platz ein, was uns Unbehagen bereitet”, sagt Josep Borrell, der Hohe Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik. Worüber spricht er? Über Afrika und den Mittelmeerraum: “Wir sollten uns Gedanken darüber machen, was in Afrika passiert. Als ich zum ersten Mal nach Brüssel kam, gab es in Libyen Franzosen und Italiener. Sie sind nicht immer miteinander ausgekommen, aber sie waren da. Heute gibt es keine Europäer mehr in Libyen – nur noch Türken und Russen. Und an der libyschen Küste gibt es eine Kette von Militärbasen, aber es sind keine europäischen Militärbasen, sondern türkische und russische. Das ist nicht diejenige Ordnung, von der wir im Mittelmeerraum geträumt haben.”