“Weg mit dem Green Deal”: Polnische Bauern demonstrieren gegen EU-Politik und Tusk-Regierung
Für die Befürworter des Vertrages sollen diese “kleinen Nachteile” jedoch kein Hindernis für den Abschluss eines Abkommens sein, das ihre Exporte steigern könnte. Dies gilt unter anderem für die deutsche Regierung, die vor allem ihre großen Automobilkonzerne zufriedenstellen will.
Aber auch auf der Mercosur-Seite macht man sich in einigen Branchen Sorgen. Die Gewerkschaften der brasilianischen Industrie haben ihrerseits Angst vor der Einführung von Produkten, die wettbewerbsfähiger sind als die heimische Produktion. Kleinbauern in südamerikanischen Ländern befürchten, dass Großbetriebe das Abkommen zu ihrem Nachteil ausnutzen könnten, zum Beispiel durch weitere Abholzung der Wälder.
Brasiliens Präsident Lula, der früher selbst Metallgewerkschafter war, setzt sich trotz allem weiterhin für das Abkommen ein, auch wenn die entscheidende Bedeutung des Projekts in den letzten Jahren abgenommen zu haben scheint. So ist der Anteil der Exporte des brasilianischen Agrar- und Nahrungsmittelsektors in die EU zwischen 1999 und 2024 von 41 auf 13 Prozent gesunken. Mittlerweile ist China mit 33 Prozent der Exporte der wichtigste Markt für die Agrarindustrie.
Der Aufstieg des Reichs der Mitte dient den europäischen Befürwortern wiederum als Argument für die Unterzeichnung. Dies gilt insbesondere für Kaja Kallas, die in Kürze ihr Amt als Chefdiplomatin der EU antreten wird. Die ehemalige estnische Premierministerin beschäftigt sich hauptsächlich mit geopolitischen Fragen – und das heißt für sie: wie man am besten Russland und China bekämpfen kann. So sagte sie vor dem Europaparlament:
“Wenn wir kein Abkommen mit dem Mercosur schließen, wird es China tun.”
Ebenfalls auf geopolitischer Ebene erinnern andere daran, dass Südamerika reich an Rohstoffen ist, darunter auch seltene Erden. Um sich damit zu versorgen, strebt die EU eine Diversifizierung ihrer Lieferanten an.
Der Freihandel ist also nicht der einzige Grund, warum viele europäische Politiker den Vertrag mit dem Mercosur auf den Weg bringen wollen. Er bleibt jedoch ein Dogma, das die europäische Integration begründet, wie die kürzlich in Kraft getretenen Abkommen mit Kanada (CETA, 2017), Japan (2019) oder Neuseeland (2024) belegen. Dasjenige mit dem Mercosur wäre das bislang größte, argumentieren die Befürworter, da es “800 Millionen Verbraucher” vereinen würde.
Der freie Wettbewerb mit seinen katastrophalen Folgen für die Völker bleibt also ein wichtiger ideologischer Bezugspunkt in Brüssel. Historisch gesehen wurde der Freihandel immer von den herrschenden Imperien verteidigt, um ihre kommerzielle und damit politische Macht zu festigen – Großbritannien im 19. Jahrhundert, die USA in der zweiten Hälfte des 20. Nun ist es aber so, dass das Gewicht und der Einfluss der EU schwinden, und die USA unter Donald Trump sich darauf vorbereiten, Europa einen Handelskrieg aufzuzwingen. Das könnte die Dogmen der EU letztlich verändern.
Gegen EU-Agrarpolitik: Bauern entladen in Brüssel ihre Wut – und Gülle
Im Moment zeigt der Kampf um den Vertrag mit dem Mercosur die Schädlichkeit der EU auf: Eine Entscheidung kann sich gegen die Interessen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten durchsetzen. In diesem Fall wird das das Abkommen befürwortende Lager von Deutschland angeführt, da die Bundesrepublik noch immer sehr an ihrer Industrie festhält; auch Spanien gehört unter anderem zu diesem Lager.
Auf der anderen Seite steht Frankreich, das offiziell gegen das Abkommen ist und von Österreich und in geringerem Maße von den Niederlanden, Polen und Griechenland unterstützt wird, die noch eine starke Landwirtschaft haben. Italien zögert indes, sich den Gegnern anzuschließen, die Regierung in Rom ist gespalten. Und Tatsache ist auch, dass das Nein-Lager seit dem letzten Versuch eines Vertragsabschlusses mit dem Mercosur Ende 2023 schwächer geworden ist.
Die endgültige Entscheidung muss nicht einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden. Das heißt, es reicht die Zustimmung von 15 Ländern (sofern sie mehr als 65 Prozent der Bevölkerung der 27 Mitgliedstaaten repräsentieren), damit das Abkommen von Brüssel unterzeichnet und für alle verbindlich wird. Derzeit vertreten bereits ein Dutzend Länder eine befürwortende Position.
Unter diesen Umständen ist das Gezeter des französischen Präsidenten, er werde “das Abkommen in seiner jetzigen Form nicht unterzeichnen”, ein Schwindel, da das Abkommen gegen den Willen der Minderheitsländer in Kraft treten und für alle verbindlich werden kann. Und das in einem Kontext, in dem die Europäische Kommission die ausschließliche Kompetenz zur Aushandlung von Handelsabkommen besitzt (und damit eine Kompetenz, die nicht mit den Mitgliedsstaaten geteilt wird).
Ein solcher Gewaltstreich hat sich schon gegen Ungarn oder Polen (in diesem Fall in Bezug auf die Migration) abgespielt, aber noch nie gegen Frankreich. Wird die (krisengeschüttelte) deutsche Regierung darauf bestehen, dass Brüssel die französische Regierung (ebenfalls ohne parlamentarische Mehrheit) übergeht? Wenn ja, so die Sorge von Le Monde (und vieler EU-freundlicher Parlamentarier), dann “könnte dies eine schädliche und dauerhafte Spur in der französischen Meinung hinterlassen, indem es eine Anti-EU-Stimmung nährt.”
Eine Antwort auf diese Frage wird in den nächsten Wochen erwartet. Und die Lage wird von den französischen Landwirten mit Argusaugen beobachtet werden. Aber nicht nur …
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