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Gaza: Baerbock und das Wenden eines Tankers

Gaza: Baerbock und das Wenden eines Tankers

Quelle: www.globallookpress.com Baerbock an der Grenze zu Gaza, 26.03.2024

Von Dagmar Henn

Irgendwo ist es dem Auswärtigen Amt in Berlin jetzt doch nass reingegangen. Nicht, dass man verlässlich von einer Kehrtwende sprechen könnte, aber die Kurskorrektur, die gerade betrieben wird, erfolgt mit einem ziemlichen Aufwand – die Menge der Tweets aus dem Auswärtigen Amt in den letzten Tagen ist weit größer als üblich. Und es ist unverkennbar, dass diese Korrektur nicht ohne Schwierigkeiten erfolgt.

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Das lässt sich im Grunde schon innerhalb eines einzigen Mediums verfolgen. Die Welt brachte erst am 26. März einen Kommentar, in dem Außenministerin Baerbock eine gegenüber Israel zu harte Haltung vorgeworfen wird; ein Kommentar, der sogar in dem “Vorschlag” gipfelt, Ägypten solle doch davon überzeugt werden, eine Zeltstadt zu errichten, um die Palästinenser aufzunehmen. Vermeintlich, bis Israel Gaza “von der Hamas befreit” habe – aber auch der Autor dieses Kommentars weiß genau, dass er hier von der dauerhaften Vertreibung der Palästinenser aus Gaza redet.

Und dann gibt es einen weiteren Artikel, der letztlich ein in Worte gegossenes Baerbock-Werbefilmchen ist. Der sogar, wenn auch nur ansatzweise, die humanitäre Lage in Gaza anspricht. Baerbock ist hier die Heldin, die nach Lösungen sucht, um mehr Hilfslieferungen nach Gaza zu bekommen. Nötige Dekoration, um dann ein Zitat wie dieses unterzubringen, in dem Baerbock die Resolution des UN-Sicherheitsrats zum Waffenstillstand begrüßt:

“Ich bin erleichtert über die Verabschiedung der Resolution, weil es auf jeden Tag ankommt, sowohl für die Menschen in Gaza als auch für die seit fünf Monaten in der Gefangenschaft der Hamas befindlichen Geiseln.”

Selbstverständlich stellt Baerbock die israelische Kontrolle über die Grenze zwischen Ägypten und Gaza nicht infrage, obwohl allein die Existenz dieser Kontrolle Beleg dafür ist, dass Gaza nach wie vor besetzt ist. Sie erklärt auch nirgends, dass die deutschen Waffenlieferungen nach Israel gestoppt worden wären; die sind zwar bei Weitem nicht so zentral wie die US-amerikanischen, deren Einstellung die einfachste Methode wäre, den Krieg in Gaza zu beenden, aber sie sind der handfeste, materielle Beleg für die tatsächlich eingenommene Position. Baerbock erklärt ebenfalls nicht, dass ohne den israelischen Belagerungszustand die humanitäre Katastrophe in Gaza gar nicht entstanden wäre. Und ihre Vorschläge, die palästinensischen Gebiete von “Technokraten” regieren zu lassen, entsprechen ihrer bekannten Wertschätzung der Demokratie (“Es ist mir egal, was meine Wähler denken”).

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Und ja, die Tatsache, dass die USA bei diesem Anlauf im UN-Sicherheitsrat kein Veto mehr einlegten, beweist, dass der Druck weltweit zumindest hoch genug ist, um eine offene Unterstützung der israelischen Kriegsführung selbst für die Vereinigten Staaten zu erschweren. Die deutsche Haltung, die der US-amerikanischen in Radikalität in nichts nachstand, dürfte ebenfalls unter Druck geraten sein – inzwischen äußert sich seitens der EU Josep Borrell zu Gaza, und das klingt völlig anders als das, was Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von sich gibt. Die bedingungslose Rückendeckung für ein israelisches Vorgehen, das längst gar nicht mehr anders genannt werden kann denn ein Genozid, hat selbst in der EU keine Mehrheit. Was bedeutet, Baerbock hatte nicht nur durch das geänderte Abstimmungsverhalten der USA den Freiraum, eine etwas andere Linie einzuschlagen, sie (oder zumindest ihre Behörde) dürfte inzwischen begriffen haben, dass der Preis für die blinde Unterstützung Israels zu hoch wird.

Was besagter Artikel in der Welt sogar, zumindest ansatzweise, offen formuliert:

“Doch wenn man heute mit arabischen Top-Diplomaten über die Haltung Deutschlands spricht, stößt man auf Entgeisterung und Enttäuschung – wegen der deutschen Haltung zu Gaza. Länger als alle anderen europäischen Staaten hat Berlin von Forderungen nach einem sofortigen, langfristigen Waffenstillstand abgesehen und stattdessen kurze Feuerpausen vorgeschlagen und Israels Recht auf Selbstverteidigung betont. “Die Deutschen haben in den letzten Monaten viel von dem Ansehen verloren, das sie sich in Jahren erarbeitet haben”, sagt ein arabischer Diplomat.”

Aber das ist nicht einfach. Nicht nur, dass die deutschen Medien sich in der Berichterstattung über das Elend in Gaza weitgehend in vornehmem Schweigen übten, während außerhalb einer US-deutschen Blase die Bilder von verhungernden Kindern nicht in TikTok verbleiben, sondern auch anderweitig die Öffentlichkeit erreichen, und dass eine Medienlandschaft, die in jahrelangen Bemühungen darauf eingeschworen wurde, jede Kritik an Israel für antisemitisch zu erklären, sich selbst mit einer Kursanpassung schon ausgesprochen schwertut. Dazu kommen ja noch eine politische Elite, die bestens geübt ist, auf Israel mit zwei geschlossenen Augen zu blicken, und ein Staatsapparat, der gerade erst dafür scharf gemacht wurde, selbst die Erwähnung des Wortes Genozid in Verbindung mit Gaza als Volksverhetzung zu behandeln.

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Derzeit ist noch nicht einmal klar, ob die “frostige Atmosphäre”, die nach Presseberichten bei Baerbocks Gespräch mit dem israelischen Außenminister Katz geherrscht haben soll, Drama oder Wirklichkeit war; ob nicht das israelische Militär selbst eine Feuerpause begrüßt, weil sie eine Auffrischung der Truppen ermöglicht (die verabschiedete Resolution fordert eine Feuerpause während des Ramadan, der bereits am 10. April wieder endet), und der gezeigte Widerwille nur dazu dienen soll, diesen taktischen Nutzen zu verschleiern; und ob eine Änderung des deutschen Kurses letztlich durchsetzbar ist.

Schließlich wurde selbst aus kurzen Stellungnahmen auf der Berlinale ein Skandal gekocht, der bis zur Forderung ging, dem Festival die Bundesmittel zu streichen, während auf der anderen Seite ein internationaler Boykott Deutschlands durch Künstler und Akademiker wegen der Haltung zu Gaza immer weitere Kreise zieht. Womöglich haben mittlerweile doch selbst Teile des Auswärtigen Amts angesichts der Klage in Den Haag gegen Deutschland Sorgen um ihre berufliche Zukunft.

Baerbock gibt sich jedenfalls Mühe, so der Eindruck, den der Welt-Bericht hinterlässt, und gönnt den Palästinensern jetzt jenes ostentative Mitgefühl, das sie ansonsten für die geopolitisch nützlichen Teile der Menschheit reserviert. Das ist allerdings noch nicht das entscheidende Signal dafür, dass wirklich etwas passiert sein könnte. Das ist ein Tweet aus dem Auswärtigen Amt, der nicht von Baerbock stammt:

Wobei die Antworten schon auf diesen Tweet zeigen, dass, sollte wirklich eine Kehrtwende beabsichtigt sein, das nicht so einfach sein wird. Denn wenn erst einmal jedes Vertrauen verspielt ist …

Wo wir schon auf X sind, dort findet sich auch die Meldung, dass die Berliner Sparkasse der Organisation Jüdische Stimme für gerechten Frieden genau an dem Tag, an dem Baerbock sich mühte, ein wenig von der israelischen Politik abzurücken, das Konto gesperrt hat.

Nach fünf Monaten Krieg in Gaza ist es nun einmal nur begrenzt glaubwürdig, wenn man plötzlich entdeckt, wie inhuman er ist. Auch wenn die Bundesregierung inzwischen ihre Zahlungen an das UNRWA wieder aufgenommen hat (es wäre schließlich ausgesprochen schwierig, bessere humanitäre Unterstützung für Gaza zu fordern, wenn man sie selbst wegen unbewiesener israelischer Vorwürfe verweigert), sollte das Auswärtige Amt beweisen wollen, dass, aus welchem Grund auch immer, und sei es durch äußeren Druck, ein Sinneswandel stattgefunden hat, bräuchte es dazu mehr als ein Schaulaufen von Annalena Baerbock am Grenzübergang in Kerem Schalom, auf israelischer Seite. Eine völlige Einstellung der Waffenlieferungen wäre unverzichtbar.

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Und selbst dann könnte sogar das Auswärtige Amt feststellen, dass es die Geister, die es rief, nicht mehr loswird. Denn wenn mit derartiger Kompromisslosigkeit auf die israelische Linie eingeschworen wurde, wie das in Deutschland der Fall war, kann auch die Einsicht, dass der Preis für diesen Kurs zu hoch ist, auf dem Weg zwischen dem Ministerium und beispielsweise der Berliner Sparkasse noch scheitern. Wie auch in anderen Fällen in den vergangenen Jahren war man viel zu schnell bereit, die Prinzipien der Humanität über Bord zu werfen. Die Schäden, die ein solcher Schritt hinterlässt, reparieren sich nicht durch ein paar Aussagen in der Presse oder einige Tweets.

Quelle

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