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Diesmal wiederholten zahlreiche Staats- und Regierungschefs – je nach Redner mehr oder weniger glaubwürdig – im Wesentlichen dieselbe Parole: Da die USA offenbar von ihrer atlantischen Verankerung abrücken wollen, bietet sich Europa hier die große Chance, seine “strategische Autonomie” zu stärken. Ein Thema, das der französische Europaminister Benjamin Haddad so zusammenfasste:
“Dies muss die Stunde des strategischen Erwachens der Europäer sein. … Es ist der beste Weg, um unser Schicksal in die Hand zu nehmen.”
In der Rede vor seinen Amtskollegen am 7. November machte sich Emmanuel Macron mit seinem Plädoyer zum Vorreiter der “europäischen Souveränität”. Und legte nach:
“Donald Trump wurde vom amerikanischen Volk gewählt und er wird das Interesse der Amerikaner verteidigen. … Sind wir bereit, das Interesse der Europäer zu verteidigen? “
In Bezug auf die Ukraine stellte der Herr des Élysée-Palasts klar: “Unser Interesse ist es, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnt.” Macron plädierte dafür, dass Europa “eine völlig unabhängige Macht” werden solle, und schloss mit folgendem Bild:
“Die Welt besteht aus Pflanzenfressern und Fleischfressern. Wenn wir uns entscheiden, Pflanzenfresser zu bleiben, werden die Fleischfresser gewinnen und wir werden ein Markt für sie sein.”
Der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis polterte: “Es ist an der Zeit, dass wir aus unserer geopolitischen Naivität aufwachen und uns zusätzliche Mittel an die Hand geben, um (unsere) Wettbewerbs- und Verteidigungsprobleme zu lösen.” Sein polnischer Amtskollege Donald Tusk forderte Europa auf, “endlich zu wachsen und an seine eigene Stärke zu glauben”. Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, meinte gar: “Es ist eine Minute vor Mitternacht, wir müssen jetzt handeln.”
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, wollte dem natürlich nicht nachstehen:
“Die Zukunft Europas liegt in unseren Händen, wir müssen jetzt handeln. … Kein Mitgliedstaat ist in der Lage, allein auf die globalen Herausforderungen zu reagieren.”
Die europäischen Führer stehen jedoch vor einem doppelten Problem. Einerseits durchziehen Mahnungen wie “Wir müssen unser Schicksal selbst in die Hand nehmen, jetzt oder nie” seit Langem die offiziellen Reden. Das war zum Beispiel schon der Fall, als Donald Trump vor acht Jahren zum ersten Mal gewählt wurde. Eigentlich ist diese Tonlage noch viel älter. Schon bei den Referenden in Frankreich und den Niederlanden 1992 über den Vertrag von Maastricht riefen die Ja-Sager dazu auf, “ein von den USA unabhängiges Europa zu ermöglichen”.
Andererseits setzt der Mythos eines “unabhängigen Europas” implizit voraus, dass die Interessen der Mitgliedsstaaten identisch oder zumindest konvergent sind. Dies ist nicht der Fall, weder in der Vergangenheit noch heute. Um nur eines von tausend Beispielen zu nennen: Selbst zwischen Frankreich und Deutschland sind die Wirtschaftsstrukturen so unterschiedlich (etwa das Gewicht der Exporte, der Industrie, der Landwirtschaft), dass sich Paris und Berlin in zahlreichen Fragen, etwa den Handelsbeziehungen mit China oder dem Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten, gegenüberstehen. Man könnte auch die politische Geschichte anführen, die auf beiden Seiten des Rheins zu einem unterschiedlichen Verständnis der transatlantischen Beziehungen geführt hat.
Beim zweiten Gipfeltreffen am 8. November handelte es sich um einen informellen Europäischen Rat, an dem also nur die 27 Staats- und Regierungschefs der EU teilnahmen. Diese hatten beschlossen, sich auf die “Wettbewerbsfähigkeit” des Blocks zu konzentrieren – ein Thema, das ihnen große Sorgen bereitet. Insbesondere seit Mario Draghi, der ehemalige italienische Ministerpräsident, im September einen Bericht zu diesem Thema vorgelegt hatte.
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Der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank schlug Alarm: Der EU drohe eine “langsame Agonie”, wenn nicht bald Reformen (beispielsweise in Bezug auf den Binnenmarkt, den Kapitalmarkt, die Energiepolitik oder regulatorische Auflagen) eingeleitet würden.
Das Treffen brachte eine “Budapester Erklärung” hervor, die als “neuer europäischer Pakt für Wettbewerbsfähigkeit” bezeichnet wird und die Warnungen Draghis aufgreift und bestätigt. Aber auch hier werden die Interessengegensätze viele der Vorschläge des Berichterstatters blockieren, angefangen bei der Mobilisierung von 800 Milliarden Euro – einer gigantischen Summe – für Investitionen in den digitalen Sektor, die “grüne Transformation” und die Rüstungsindustrie.
Die 27 EU-Staaten haben die Europäische Kommission beauftragt, eine Reihe von “Road Maps” für diese Bereiche vorzulegen. Die Befürworter der europäischen Integration haben aber wirklich viel Pech. Sie stoßen nicht nur auf strukturelle Widersprüche, sondern die beiden größten EU-Länder sind derzeit auch mit interner politischer Instabilität konfrontiert. Die deutsche Regierung hat keine parlamentarische Mehrheit mehr; das Land steuert auf vorgezogene Neuwahlen zu. Und in Paris ist die Regierung durch ein beispielloses Chaos in der Nationalversammlung gelähmt; eine Situation, die den Staatschef erheblich schwächt. Man könnte hinzufügen, dass auch in Spanien, der viertgrößten Volkswirtschaft der Eurozone, der Ministerpräsident kaum noch eine Mehrheit hat.
Im Gegensatz dazu verfügt die ungarische Regierung über eine sehr breite parlamentarische Unterstützung. Kein Grund zur Beruhigung für Brüssel.
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