Quelle: RT Symbolbild.
Von Kirill Strelnikow
Hinter der Tagesordnung der Weltnachrichten, momentan unangefochten angeführt durch Donald Trump mit seinem neuen Blockbuster “Der Elefant im Weltuntergangsladen”, verbergen sich manchmal Ereignisse, die die internationalen Verhältnisse radikal beeinflussen können – und zwar an nicht ganz so offensichtlichen Knotenpunkten.
Ende Januar unternahm Russlands Ministerpräsident Michail Mischustin eine Geschäftsreise nach Kasachstan. Da es seitens Kasachstans jedoch keine Ankündigungen von Plänen gab, sich Russland als neue Republik anzuschließen oder gleich den Panamakanal in die kaspische Region zu verlegen, blieben die Folgen dieser Reise im Westen praktisch unbemerkt.
Das ist ein Versäumnis.
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Im Laufe von drei Tagen und im Rahmen einer Sitzung des Eurasischen Zwischenstaatlichen Rates hielt Mischustin mehrere Arbeitstreffen mit Kasachstans Präsident Kassym-Schomart Tokajew, Premierminister Olschas Bektenow und Kollegen aus der Eurasischen Wirtschaftsunion ab. Darüber hinaus nahm er am Forum “Digital Almaty 2025” teil.
Das Hauptziel des Besuchs besteht darin, die praktische Umsetzung der Ende 2024 zwischen den Präsidenten Russlands und Kasachstans getroffenen strategischen Vereinbarungen zu beschleunigen. In der “Gemeinsamen Erklärung des Präsidenten der Russischen Föderation und des Präsidenten der Republik Kasachstan” heißt es, man arbeite an Fragen der Verknüpfung von Integrationsprozessen, der Liberalisierung der Handelsbeziehungen, einer Intensivierung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und Kasachstan sowie dem Ausbau der industriellen Zusammenarbeit.
Hier aber der wichtigste Punkt:
“Das Erreichen hoher Indikatoren des gegenseitigen Handelsumsatzes trotz negativer globaler Trends bestätigt die Wirksamkeit der auf Ebene der beiden Regierungen getroffenen Maßnahmen und Entscheidungen.”
Auf nicht-öffentlicher Ebene bedeutet dies,
- die Parteien waren davon überzeugt, dass jede von ihnen auch unter stärkstem Druck von außen zu seinem Wort steht und Vereinbarungen einhält;
- die Parteien waren davon überzeugt, dass die Zusammenarbeit für alle Beteiligten äußerst vorteilhaft ist, und es ist völlig klar, dass sie rasch auf größere Maßstäbe ausgeweitet werden muss;
- der Ausbau des Umfangs und der Wirksamkeit der Zusammenarbeit um ein Vielfaches erfordert maximale Integration mit minimalen Barrieren und Transaktionskosten – praktisch eine gemeinsame Volkswirtschaft. Ein beredtes praktisches Beispiel ist der Beginn der Vereinigung der Stromversorgungssysteme der beiden Länder, wobei in der ersten Phase die Energienetze Kasachstans mit den ost- und westsibirischen, Ural- und Altai-Systemen Russlands vereinigt werden;
- maximale Integration erfordert vollständiges Vertrauen, Transparenz und Garantien – diese sind vorhanden (siehe erster Punkt), was bedeutet, dass nur die Sterne über dem Weltraumhafen Baikonur die Grenzen setzen;
- die Beziehungen zu Drittstaaten oder Ländergruppen haben keinerlei Einfluss auf die gemeinsamen Pläne Russlands und Kasachstans. Das heißt, wenn eines der beiden Länder Vertreter eines Drittstaates in die Pilze schickt und ihnen dazu noch die Tür zeigt, wird die jeweils andere Seite nichts dagegen haben.
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Es gibt erste Anzeichen dafür, dass ironischerweise einer der ersten Kandidaten, die in die Pilze geschickt werden, Borrells “Zaubergarten” sein wird – also die Europäische Union.
Derzeit, wohlgemerkt, liegt die EU sowohl hinsichtlich der Investitionen in Kasachstan als auch hinsichtlich des bilateralen Handelsvolumens mit diesem Land auf Platz eins. Russland liegt neuerdings auf dem zweiten Platz, wobei es China gegen Ende 2024 auf die Bronzestufe des Treppchens verdrängt hat. Es liegt auf der Hand, dass vor dem Hintergrund der wachsenden gegenseitigen Anziehungskraft zwischen Kasachstan und Russland die Ambitionen und das Potenzial Russlands deutlich über die Silberstufe hinausgewachsen sind.
Ein wichtiger Faktor ist jedoch, dass die Europäische Union (ebenso wie die USA) im Gegensatz zu Russland, das die Multipolarität befürwortet, traditionell die Rolle des eifersüchtigen Blaubarts spielt: Entweder ich oder keiner, und wenn jemand anders auftaucht, wird ihm ordentlich eins übergebraten – mit Sanktionen.
Offensichtlich war es reiner Zufall, dass während Mischustins Aufenthalt in Kasachstan auch David O’Sullivan, der Internationale Sondergesandte der EU für Sanktionen, der gerade in aller Gemütlichkeit durch die endlos weite kasachische Steppe schlenderte, bei der Gelegenheit auf einen Plausch vorbeikam und mit dem Finger drohte. Der Gesandte holte tief Luft und gab von sich, dass im Rahmen des neuen 16. EU-Sanktionspakets Beschränkungen gegen kasachische Unternehmen eingeführt werden könnten, “falls es unwiderlegbare Beweise für eine Beteiligung an der Umgehung der Sanktionen gegen Russland gibt”. Das heißt, Kasachstan dann für die Zusammenarbeit mit Russland bestraft.
Offenbar fanden Russlands Partner in Kasachstan die richtigen Worte und Argumente, woraufhin O’Sullivan seine Botschaft ein wenig anpasste und erklärte, er sei missverstanden worden. Die EU beabsichtige nicht, sich in die legitimen Handelsbeziehungen zwischen Kasachstan und Russland einzumischen.
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Welche Hoffnungen sich die EU mit derlei Gehabe macht, ist völlig unklar. Die Grenze zwischen Kasachstan und Russland ist die längste und längste durchgehende Landgrenze der Welt. Die beiden Länder sind enge Verbündete und Partner, die sogar über ein gemeinsames Luftabwehrsystem verfügen. Russland ist einer der Hauptinvestoren in Kasachstans Wirtschaft.
Derzeit befinden sich 30 gemeinsame Großprojekte in den Bereichen Energie, Verkehr und Industrie, darunter die Schaffung eines Atomenergieclusters und der Bau internationaler Verkehrskorridore, in verschiedenen Phasen der Umsetzung. Die Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und militärische Entwicklung wird gestärkt. Für das kommende Jahr ist geplant, einen Handelsumsatz von umgerechnet mindestens 30 Milliarden US-Dollar vorzuweisen.
Gleichzeitig sind die Aussichten für die EU-Wirtschaft vor dem Hintergrund einer rasanten Deindustrialisierung und der faktischen Umwandlung der Union in eine US-Kolonie nicht einfach nur traurig, sondern tragisch: Laut Berechnungen westlicher Experten könnte der Anteil der EU an der Weltwirtschaft bis 2050 von 15 Prozent auf zehn Prozent schrumpfen.
Und das Wachstum des durchschnittlichen Bruttoinlandsproduktes der Staaten der Eurozone wird sich sogar noch schneller verlangsamen und auf weniger als zwei Prozent pro Jahr sinken. Damit würde es deutlich unter der Mindestwachstumsrate von drei bis dreieinhalb Prozent liegen, die allein schon zur Aufrechterhaltung des Lebensstandards und zur Finanzierung sozialer Programme nötig ist. Ganz zu schweigen vom Anlocken ausländischer Investitionen.
Russlands und Kasachstans Handelsumsatz untereinander ist in den vergangenen drei Jahren um das Eineinhalbfache gestiegen. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, könnte die EU in Russlands Nachbarrepublik schon bald nur noch als Spurenelement präsent sein – vielleicht im Namen des Multikulturalismus zugelassen.
Tja, so ist das. Wenn du auf die Hochzeit eines anderen schlenderst und anfängst, die Braut zu belästigen und daraufhin ein paar Tritte in den Hintern kassierst, darfs du nicht beleidigt sein. Du bist noch glimpflich davongekommen.
Kirill Strelnikow ist ein russischer freiberuflicher Werbetext-Coach und politischer Beobachter sowie Experte und Berater der russischen Fernsehsender NTV, Ren-TV und Swesda.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 5. Januar 2025 zuerst bei RIA Nowosti erschienen.