Meinung

Kommentar zum Duma-Beschluss – hat Russland “Childfree-Bewegung” mit Blick auf Deutschland verboten?

Kommentar zum Duma-Beschluss – hat Russland "Childfree-Bewegung" mit Blick auf Deutschland verboten?

Quelle: Sputnik © Ilja NaimuschinDie gesundheitliche Abhärtung von Kindern im sibirischen Krasnojarsk (Symbolbild)

Von Astrid Sigena

Kinderlosigkeit ist ein heikles Thema. Wer sie thematisiert, begibt sich in die Gefahr, sich in eine der privatesten Angelegenheiten überhaupt einzumischen oder gar kinderlosen Menschen ein verpfuschtes Leben vorzuwerfen. Die Fragen “Und, wann ist es bei euch so weit mit dem Kinderkriegen?” oder “Warum willst du keine Kinder?” können sehr wehtun, gerade wenn sie unvermittelt wie aus heiterem Himmel kommen. Genau genommen schmerzen sie wie ein Stich ins Herz. Und es ist sehr herabwürdigend, als Frau zu hören zu bekommen, ohne Kinder gar keine richtige Frau zu sein.

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Zugleich ist eine angemessene Geburtenrate, die zumindest die Bevölkerungszahl konstant hält (wünschenswert wäre in Europa eigentlich ein Bevölkerungswachstum), eine Überlebensfrage für viele europäische Völker. Gewöhnlich geht man davon aus, dass man eine Reproduktionsrate von 2,1 Kindern pro Frau benötigt, damit die Bevölkerung stabil bleibt. Diesen Wert erreichen weder Deutschland (wo die Zahl der Lebendgeburten zuletzt wieder deutlich gesunken ist) noch Russland. Natürlich kann man den Bevölkerungsschwund mit Migration auszugleichen versuchen – was allerdings wieder neue Probleme bringt. Sowohl in Deutschland als auch in Russland gibt es Probleme mit der Integration von Einwanderern.

Warum wäre es eigentlich wünschenswert, dass die Zahl der Geburten pro Durchschnittsfrau über 2,1 Kindern liegt, also über den Bestandserhalt? Nun, weil wir Europäer eigentlich viel mehr sein müssten. Fast alle europäischen Völker waren vom Ersten und Zweiten Weltkrieg betroffen und haben Millionen junger Menschen verloren, die logischerweise auch als Eltern nachfolgender Generationen fehlten. Auch der Babyboom beispielsweise im Deutschland der Adenauerzeit machte diesen Aderlass nicht wieder wett.

Nun sind wir weit entfernt von einem Wachstum der indigenen europäischen Bevölkerungen. Die Frage, vor der alle europäischen Regierungen stehen, die ihr Land und ihr Volk noch nicht völlig aufgegeben haben, lautet also: Wie bringen wir die Leute zum Kinderkriegen? Wie bewegen wir Paare dazu, ja zum Kind (und möglichst noch zu weiteren Kindern) zu sagen? Ein gern genanntes Beispiel ist Viktor Orbáns Ungarn mit seiner aktivierenden Bevölkerungspolitik. Ihr ist es immerhin gelungen, die Geburtenrate zu erhöhen, wenn sie auch (noch?) nicht auf die magischen 2,1 Kinder pro Frau gelangt ist.

Die Maßnahmen, die die europäischen Regierungen ergreifen, um die Geburtenrate zu steigern, sind eigentlich altbekannt und wenig originell: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die (potenziellen) Mütter zu erleichtern, günstige Kredite für den Hausbau von Mehrkindfamilien, ein großzügigeres Kindergeld, Anrechnung von Kindern bei der Rente, aber auch finanzielle Einbußen für Kinderlose (zum Beispiel in Deutschland der höhere Beitragssatz zur Pflegeversicherung für diese Personengruppe).

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Es hat aber den Anschein, als ob die Wirkung dieser finanziellen Lockmittel fürs Kinderkriegen bzw. Strafen für Kinderlosigkeit begrenzt ist. Zum einen ist der finanzielle Spielraum der meisten europäischen Regierungen begrenzt, Wohltaten an (zukünftige) Familien auszugeben. Zum anderen signalisiert die finanzielle Kompensation fürs Kind (bzw. die Bestrafung für die Reproduktionsverweigerer) unterschwellig eine verhängnisvolle Botschaft: dass nämlich Kinder eine Form von Belastung sind, die kompensiert werden muss. Und dass diejenigen, die sich vor dieser Last drücken, zumindest durch finanzielle Einbußen bestraft werden müssten. Macht das Lust aufs Kinderkriegen? Offensichtlich nicht im gewünschten Ausmaße.

Wichtiger, aber umso schwerer beeinflussbar ist der ideologische Hintergrund. Es müsste einfach wieder normal sein, mehrere Kinder zu haben. Aber wie kann man das wieder zur Normalität werden lassen, was keine Normalität mehr ist? (Der Kinderwunsch scheint übrigens bei Männern im Prinzip stärker ausgeprägt zu sein als bei Frauen – zumindest in Deutschland. Einer Umfrage zufolge meinen nur halb so viele Frauen wie Männer, dass Menschen Kinder haben sollten.) Wie kriegt man in einer Zeit, in der ein Leben ohne Kinder schon fast zur Normalität geworden ist, den (Un-)Geist der Kinderlosigkeit wieder zurück in die Flasche? Es wäre schon ein Fortschritt, würde in der Gesellschaft ein Leben ohne Kinder nicht als etwas besonders Erstrebenswertes dargestellt!

Russland versucht derzeit, den Geist der Kinderlosigkeit, pardon, der Kinderfreiheit (so heißt dieses Phänomen nämlich bei denen, die bewusst kinderlos geblieben sind und dies auch als vorbildhaft propagieren) wieder in die Flasche zurückzustopfen. Ein mühseliges Unterfangen! Und ein Unterfangen, bei dem man leicht höhnisch verlacht werden kann. So spottete der Focus (mit Bezugnahme auf den Mirror), Russland plane ein “Sex-Ministerium, um die niedrige Geburtenrate zu bekämpfen”. Wer den Mut zu einer aktivierenden Bevölkerungspolitik zeigt, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Sex und Fortpflanzung sind einfach zu verlockend für die Reißer billiger Witze. Und natürlich lassen sich irgendwelche Petitionen mit drolligen Vorschlägen und verrückten Ideen (nächtliches Internetverbot für mehr Sex unter Paaren) immer leicht aufstöbern. Anderes wiederum klingt ganz bedenkenswert, zum Beispiel die Idee der Petenten, Müttern für ihre Care-Arbeit (also Haushalt und Kindererziehung) ein staatlich finanziertes Gehalt zukommen zu lassen und ihnen ihre Leistung für den Fortbestand des russischen Volkes auf die Rente anzurechnen. Aber wie schon gesagt, das ist nur eine Petition.

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Was hat denn nun das russische Parlament, die Duma, am 12. November diesen Jahres wirklich beschlossen? Es hat ein Gesetz gegen die Childfree-Bewegung verabschiedet, also gegen die Propagierung des freiwilligen Verzichts auf Kinder (wobei die Childfree-Bewegung ihre sogenannte “Kinderfreiheit” wohl kaum als Verzicht bewerten dürfte). In Zukunft können Einzelpersonen oder auch Unternehmen, die das Ablehnen des Kinderkriegens propagieren, mit unterschiedlich hohen Geldbußen belegt werden (3.000 Euro bei Einzelpersonen bis 48.000 Euro bei Unternehmen). Das betrifft vor allem Beiträge in den Medien und im Internet, aber auch in der Werbung und im Film. Das Gesetz ist noch nicht gültig, Präsident Wladimir Putin muss es erst noch unterzeichnen. (In der Endfassung des Gesetzes hat man übrigens gerade noch die Kurve gekriegt: Fast wäre nämlich auch die orthodoxe Kirche mit ihren Mönchen und Nonnen unter das Gesetz gefallen. Jetzt bleibt es weiterhin erlaubt, für das geistliche – und daher traditionell familienlose – Leben in einem Kloster zu werben.)

Außerdem ist es in Zukunft verboten, russische Kinder zur Adoption ins Ausland freizugeben, wo sie von LGBT-Personen adoptiert werden könnten.

Antinatalisten werden es also in Zukunft in Russland schwerer haben, ihre Ansichten öffentlich zu verbreiten. Aber gibt es überhaupt eine nennenswerte Anzahl solcher Persönlichkeiten in Russland? Schwer zu sagen. Stefan Scholl geht in der Frankfurter Rundschau davon aus, dass durch durch die Einschränkung antinatalistischer Meinungsäußerungen eine Bewegung verboten werde, die es in organisierter Form in Russland gar nicht gebe.

Vielleicht sieht man in Russland aber auch auf die Verhältnisse in Deutschland und handelt nach dem Prinzip “Wehret den Anfängen”. In der BRD widmete die ARD immerhin schon 2022 der Childfree-Bewegung eine Reportage mit dem suggestiv fragenden Titel “Besser leben ohne Kinder?” Und regelmäßig darf sich in den Medien Deutschlands berühmteste Antinatalistin zu Wort melden, die Regensburger Lehrerin Verena Brunschweiger – zuletzt Anfang November in der Neuen Osnabrücker Zeitung. Brunschweiger beklagt das Verbot der Gendersprache an bayerischen Schulen und erklärt der Reporterin Marie Busse, wie sie dieses Verbot im Unterricht geschickt umgeht, ohne direkt dagegen zu verstoßen. Das Mäßigungsverbot, dem jeder Lehrer unterliegt, scheint sie zu bedauern, denn es stehe im Widerspruch zu ihrem Wunsch, “junge Menschen zu begleiten und ihnen wichtige Werte zu vermitteln”. Was für Werte dürften das wohl sein, die Brunschweiger so gerne auf die Jugend übertragen sehen möchte?

Im selben Interview begründet sie ihre bereits früher getätigte Äußerung, Kinder zu bekommen, sei das Schlimmste, was man machen könne. Frauen ließen sich durch Schwangerschaft und Geburt zum Brutkasten degradieren und unterstützten das Patriarchat. Außerdem verstärke jedes weitere Kind den Ressourcenverbrauch und damit den Klimawandel. Brunschweigers neuestes Hauptargument scheint allerdings zu sein, dass selbst AfD-Gegner, wenn sie denn Kinder bekämen, dieser Partei in die Hände spielen würden. Denn schließlich wünsche sich die AfD eine höhere Geburtenrate von “deutschen” Kindern (Anführungszeichen bereits im Original).

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Stelle nur ich mir die Frage, wie Brunschweiger ihren Schülern im Unterricht begegnet, den fleischgewordenen Klimasünden ihrer Erzeuger? So müsste sie die Kinder doch – ihrer Ideologie zufolge – betrachten? Oder kann sie im Unterricht von ihrer menschenverachtenden Geisteshaltung Abstand nehmen? Den Russen ist es nicht zu verdenken, wenn sie verhindern wollen, dass Lehrkräfte mit solch einer Einstellung zu Kindern an ihren Schulen unterrichten.

Letztendlich werden aber weder materielle Anreize noch Sanktionen allein die Menschen dazu bewegen können, wieder mehr Kinder zu bekommen. Auch die Eindämmung der Childfree-Ideologie kann nur ein erster Schritt sein. Das Zauberwort für eine höhere Geburtenrate heißt “Zuversicht”. Zuversicht im persönlichen Lebensbereich, dass man “das Kind schon schaukeln” wird, dass das Leben mit Kindern bereichernd ist, dass es im weiteren Leben mit einem aufwärtsgehen wird, dass die eigenen Gene es wert sind, weitergegeben zu werden. Zuversicht aber auch in Bezug auf das eigene Land und das eigene Volk: der Glaube, dass das eigene Volk eine Zukunft haben wird, eine Zukunft, an der man sich beteiligen möchte, auch durch die Kinder, die man dieser Zukunft schenkt. Kinder, mit denen man diese Zukunft erst möglich macht.

Quelle

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