Analyse Warum die Arbeiterklasse im Westen für Politiker wie Trump stimmt
Und hier kommt Erkenntnis Nummer eins: Wer versucht, ein wenig Charakter zu zeigen, kann sich den Respekt zurückholen.
Hier ist ein weiterer Punkt, der allzu oft übersehen wird. Führen wir ein Gedankenexperiment durch: Was würde passieren, wenn Musk auch über europäische Politik twitterte, aber Mainstream-Parteien und -Politiker unterstützte? Wenn er zum Beispiel mit EU-Kaiserin Ursula von der Leyen als mit der Italienerin Giorgia Meloni (die jetzt offenbar auch in den großen SpaceX-Deal verwickelt ist?) sympathisiert hätte? Was wäre, wenn Musk nicht die schrille AfD, sondern die deutsche FDP unterstützt hätte – die verfehlten, aber marktwirtschaftlich orientierten Liberalen, die buchstäblich um seine Gunst bettelten? Was wäre, wenn er den britischen Labour-Führern angesichts ihrer brutalen Sozialleistungskürzungen beigestanden hätte?
Wie die Deutschen sagen, im Innersten weiß man es: Wenn Musk sich genauso einmischen würde, wie er es jetzt tut, aber dem traditionellen Establishment den Rücken stärken würde, würden dieses ihn mit Freude begrüßen, mit dem Schwanz wedeln und sich für weitere Streicheleinheiten auf den Bauch legen. In Deutschland hätte Musk von Bundespräsident Steinmeier persönlich ein Bundesverdienstkreuz oder zumindest einen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten (googelt einfach diesen Begriff, er lässt sich nicht erklären). Und in Großbritannien würde die stets sehr anpassungsfähige Oberschicht einen frisch zum Ritter geschlagenen Sir Elon als absolut salonfähig empfinden. Kurzum, Europas Sub-Eliten haben kein Problem damit, gedemütigt zu werden, sie mögen es nur nicht, wenn ihre US-Herrscher drohen, sie durch neue Favoriten zu ersetzen.
Daraus ergibt sich Erkenntnis Nummer zwei: Wer Respekt will, darf sich nicht kaufen lassen. Wer sich kaufen lässt, kann einfach weggeworfen und durch andere ersetzt werden.
Das ist übrigens genau das, was jetzt mit dem Vorsitzenden von Reform UK Farage passiert (zumindest zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels). Mit seiner völligen Unterwerfung hatte er einen Nerv bei Musk getroffen, aber nicht in ausreichendem Maße. Auf der vergeblichen Suche nach persönlicher Würde versuchte Farage, beides zu haben: Er stimmte seinem Helden Elon auf möglichst unterwürfige Weise zu, deutete aber auch vorsichtig an, dass er manchmal gerne seinen eigenen Standpunkt vertreten möchte. Meine Güte, das war wie ein Donnerschlag! Musk reagierte sofort, indem er Nigel – diesen hochnäsigen Untergebenen – zurechtwies und Reform UK zu verstehen gab, dass sie einen neuen Vorsitzenden braucht. Farages Reaktion darauf war eine noch komischere Beweihräucherung. Aber vielleicht wird es ja funktionieren. Denn der neue Chef mag es eindeutig, wenn man sich ihm vollständig unterwirft.
Und Erkenntnis Nummer drei: Man sollte nicht versuchen, schlau zu sein.
Betrachten wir schließlich die heldenhafte Haltung von Deutschlands konservativem Parteichef – und vielleicht nächstem Kanzler – Friedrich Merz. Im Bestreben, sich in patriotischem Eifer nicht unterlegen zu zeigen, legte Merz richtig los: “Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es in der Geschichte der westlichen Demokratien”, donnerte er mit einem Hauch des guten alten Churchill- Schwulstes, “einen vergleichbaren Fall von Einmischung in den Wahlkampf eines befreundeten Landes gegeben hat.” Er forderte seine deutschen Mitbürger auf, sich “für einen kurzen Moment die – durchaus berechtigte – US-Reaktion auf einen ähnlichen Artikel eines prominenten deutschen Geschäftsmannes in der New York Times vorzustellen, der einen Außenseiter im US-Präsidentschaftswahlkampf unterstützt”.
Oh, Friedrich, was soll ich dazu sagen? Erstens: In den USA interessiert das niemanden. Denn dort gibt es – sei es zum Glück oder unglücklicherweise – keine deutschen Geschäftsleute wie Musk. Und noch etwas: Warum sollten die USA die Deutschen überhaupt ernst nehmen? Möglicherweise besitzt Berlin dank wirtschaftlicher Prosperität, technologischer Überlegenheit, militärischer Macht und hegemonialer Führung ein gewichtiges wirtschaftliches Druckmittel? Und wie kann man nach all dem behaupten, dass die Deutschen keinen Sinn für Humor haben?
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Aber danke für diese komische Ehrlichkeit – “einen Außenseiter unterstützen” –, das stellt bekanntlich Ihr Problem dar. Hätte Musk stattdessen nur Sie – den Favoriten – unterstützt, stünden Sie jetzt vor ihm und würden um mehr betteln. Aber damit haben wir uns bereits befasst (siehe Erkenntnis Nummer zwei).
Und dann ist da noch diese ganze Geschichte mit den “westlichen Demokratien”. Oh mein Gott, ist das Ihr Ernst? Hier, schreiben Sie das auf (“zum Mitschreiben”, wie Sie zu sagen pflegen), Friedrich: Der Grund, warum Musk Musk sein darf, liegt in seiner Eigenschaft als Super-Oligarch in einem politischen System, das von und für Leute wie Musk geschaffen wurde. Deshalb nennen wir es Oligarchie – also die Herrschaft der Reichen und für die Reichen. Und das ist keine Demokratie (egal wie sie sich nennt). Als ehemaliger hochrangiger BlackRock- Überflieger und Millionär sollten Sie das eigentlich wissen. Und West und Ost haben absolut nichts damit zu tun. Lassen wir also einmal Ihre Scheinfixierung – auch die indirekte – auf Russland beiseite, einverstanden? Schließlich kommen die Demütigung, der Ruin und die Schmeicheleien aus Washington, nicht aus Moskau.
Und Erkenntnis Nummer vier: Wer Respekt haben will, sollte keinen Blödsinn reden. Vor allem nicht den gleichen Quatsch wie die Leute, die euch nicht respektieren. Man sollte versuchen, ehrlich zu sein – zuerst zu sich selbst. Irgendwann gelingt es dann möglicherweise, auch gegenüber euren Peinigern ehrlich zu sein und sie endlich aus dem Weg zu räumen. Doch bis dahin gilt: Musk ist brutal, gemein und unfair – ich weiß das –, aber ihr habt euch das alles selbst eingebrockt.
Übersetzt aus dem Englischen.
Tarik Cyril Amar ist Historiker an der Koç-Universität in Istanbul, er befasst sich mit Russland, der Ukraine und Osteuropa, der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, dem kulturellen Kalten Krieg und der Erinnerungspolitik.
Quelle