Analyse
Pepe Escobar: Willkommen bei BRICS 11!
Israel antwortete umgehend mit der systematischen Bombardierung aus der Luft des Gazastreifens, diesem 365 Quadratkilometer großen Freiluftgefängnis, in dem 2,3 Millionen Menschen leben. Die wahllose Bombardierung von Flüchtlingslagern, Schulen, Wohnblöcken und Moscheen hat begonnen. Die Palästinenser haben keine Marine, keine Luftwaffe, keine Artillerie, keine gepanzerten Kampffahrzeuge und keine Berufsarmee. Sie haben kaum oder gar keinen Zugriff auf Hightech, während Israel Daten von Satelliten der NATO abrufen kann, wann immer es dies möchte. Der israelische Verteidigungsminister Joaw Galant verkündete eine “vollständige Belagerung des Gazastreifens”. Es werde keinen Strom, kein Essen, keinen Treibstoff geben, alles werde abgeriegelt. Man bekämpfe “menschliche Tiere” und werde entsprechend handeln.
Die Israelis können sich unbesorgt auf eine kollektive Bestrafung einlassen, denn mit drei garantierten Vetorechten im UN-Sicherheitsrat in der Tasche – jene der USA, Großbritannien und Frankreich – wissen sie, dass sie damit durchkommen. Es spielt keine Rolle, dass Haaretz , Israels angesehenste Zeitung, offen einräumt, dass “tatsächlich allein die israelische Regierung für das, was passiert, verantwortlich ist, weil sie die Rechte der Palästinenser missachtet”. Die Israelis sind dabei absolut konsequent. Bereits 2007 sagte der damalige Chef des israelischen Verteidigungsgeheimdienstes Amos Yadlin: “Israel würde sich freuen, wenn die Hamas die Kontrolle über Gaza übernehmen würde, weil die israelischen Streitkräfte dann mit Gaza als feindlichem Staat umgehen könnten.”
Die Ukraine liefert Waffen an die Palästinenser
Noch vor einem Jahr sprach der Komiker im verschwitzten grünen Sweatshirt in Kiew davon, die Ukraine in ein “großes Israel” zu verwandeln. Dafür erhielt er gebührenden Beifall von einer Gruppe von Sprechpuppen aus dem Umfeld der Denkfabrik Atlantic Council.
Nun, es kam ganz anders, eine Quelle alter Schule aus dem Tiefen Staat hat mich über Folgendes informiert:
“Für die Ukraine bestimmte Waffen sind in den Händen der Palästinenser gelandet. Die Frage ist, welches Land dafür aufkommt. Iran hat gerade einen Deal mit den USA über sechs Milliarden Dollar abgeschlossen, und es ist unwahrscheinlich, dass Iran diesen Deal gefährden würde. Ich habe eine Quelle, die mir den Namen des Landes gegeben hat, aber ich kann den Namen des Landes nicht preisgeben. Tatsache ist, dass ukrainische Waffen in den Gazastreifen gelangt sind und jemand dafür bezahlt hat, aber es war nicht Iran.”
Nach ihrem atemberaubenden Überfall am vergangenen Wochenende, hat sich die kluge Hamas bereits mehr Verhandlungsmacht gesichert, als die Palästinenser dies in Jahrzehnten erlangen konnten. Während Friedensgespräche von China, Russland, der Türkei, Saudi-Arabien und Ägypten unterstützt werden, lehnt Tel Aviv bezeichnenderweise diese Forderung ab. Netanjahu ist besessen davon, Gaza dem Erdboden gleichzumachen, aber wenn das geschieht, ist ein größerer regionaler Krieg fast unvermeidlich.
Die libanesische Hisbollah – ein bedingungsloser Verbündeter der palästinensischen Achse des Widerstands – möchte lieber nicht in einen Krieg hineingezogen werden, der auf ihrer Seite der Grenze verheerende Folgen haben kann. Aber auch diese Haltung könnte sich ändern, wenn Israel de facto einen Völkermord im Gazastreifen begeht.
Die Hisbollah verfügt über mindestens 100.000 ballistische Raketen mit Reichweiten von 40 bis 300 Kilometer. In Tel Aviv weiß man, was das bedeutet, und erschaudert angesichts der häufigen Warnungen des Anführers der Hisbollah, Hassan Nasrallah, dass der nächste Krieg mit Israel innerhalb von Israel geführt werden wird.
Das bringt uns zu Iran.
“Deniable plausibility”
Die wichtigste unmittelbare Folge der Operation Al-Aksa-Flut ist, dass der feuchte Traum der Washingtoner Neokonservativen von einer “Normalisierung” zwischen Israel und der arabischen Welt einfach ausgeträumt sein wird, wenn sich daraus ein langwieriger Krieg entwickelt. Tatsächlich normalisieren große Teile der arabischen Welt bereits ihre Beziehungen zu Teheran – und das nicht nur innerhalb der neu erweiterten BRICS-11.
Im Streben nach einer multipolaren Welt, wie sie von den BRICS 11, der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAEU) und Chinas Gürtel- und Straßeninitiative (BRI) sowie anderen bahnbrechenden Institutionen des eurasischen Raums und des Globalen Südens vertreten wird, gibt es einfach keinen Platz für einen ethnozentrischen Apartheidstaat wie Israel, der die kollektive Bestrafung großer Teile der palästinensischen Zivilbevölkerung bevorzugt.
Erst dieses Jahr wurde Israel vom Gipfel der Afrikanischen Union ausgeschlossen. Eine israelische Delegation erschien trotzdem und wurde kurzerhand aus der großen Halle geworfen. Bilder, die in den sozialen Medien viral gingen. Bei den UN-Plenarsitzungen im vergangenen Monat, versuchte ein einzelner israelischer Diplomat die Rede des iranischen Präsidenten Ibrahim Raisi zu stören. Kein westlicher Verbündeter stand ihm zur Seite und auch er wurde aus dem Plenarsaal entfernt.
Wie der chinesische Präsident Xi Jinping im Dezember 2022 es formulierte, unterstützt Peking “nachdrücklich die Gründung eines unabhängigen Staates Palästina, der auf der Grundlage der Grenzen von 1967 eine volle Souveränität genießt und Ostjerusalem seine Hauptstadt nennen darf. China unterstützt Palästina, Vollmitglied der Vereinten Nationen zu werden.”
Teherans Strategie ist weitaus ehrgeiziger – es bietet strategische Beratung für westasiatische Widerstandsbewegungen, von der Levante bis zum Persischen Golf: Hisbollah, Ansarallah, Hashd al-Shaabi, Kataib Hisbollah, Hamas, Palästinensischer Islamischer Dschihad und unzählige andere Gruppierungen. Es ist, als wären sie alle Teil eines neuen großen Schachbretts, das de facto vom Großmeister Iran dominiert wird.
Die Figuren auf dem Schachbrett wurden sorgfältig von niemand anderem als dem ermordeten Kommandeur der Quds-Streitkräfte des Korps der Islamischen Revolutionsgarde, General Qassem Soleimani, aufgestellt. Soleimani war ein militärisches Genie. Er war maßgeblich daran beteiligt, die Grundlagen für die kumulativen Erfolge der iranischen Verbündeten im Libanon, in Syrien, im Irak, im Jemen und in Palästina zu schaffen und die Voraussetzungen für eine komplexe Operation wie die Operation Al-Aksa-Flut zu schaffen.
Anderswo in der Region scheitert der Versuch der Atlantiker, strategische Korridore über die fünf Meere – das Kaspische Meer, das Schwarze Meer, das Rote Meer, den Persischen Golf und das östliche Mittelmeer – zu eröffnen. Russland und Iran zerschlagen mit dem Internationalen Nord-Süd-Handelskorridor (INSTC) bereits die Pläne der USA im Kaspischen Meer und im Schwarzen Meer, das auf dem Weg ist, ein russischer Binnensee zu werden. Teheran beobachtet die Strategie Moskaus in der Ukraine sehr genau, auch wenn es seine eigene Strategie verfeinert, wie man den Hegemon USA ohne direkte Beteiligung schwächen: Nennen wir es “Deniable plausibility” – geopolitisch glaubhafte Bestreitbarkeit.
Tschüss Handelskorridor EU-Israel-Saudi-Indien
Das Bündnis Russland-China-Iran wird von westlichen Neokonservativen als neue “Achse des Bösen” verteufelt. Diese infantile Wut offenbart eine kosmische Ohnmacht. Russland, China und Iran sind echte souveräne Staaten, mit denen man sich nicht anlegen sollte. Und wenn doch, ist der zu zahlende Preis unvorstellbar hoch.
Analyse
Krieg der Wirtschaftskorridore: Der Indien-Nahost-Europa-Trick
Ein Schlüsselbeispiel: Wenn der von einer amerikanisch-israelischen Achse angegriffene Iran beschließen würde, die Straße von Hormus zu blockieren, würde sich die globale Energiekrise dermaßen verschärfen, dass ein Zusammenbruch der westlichen Volkswirtschaften unvermeidlich wäre. Für die unmittelbare Zukunft bedeutet dies, dass der amerikanische Traum, sich über die fünf Meere hinweg einzumischen, nicht einmal als Fata Morgana abzeichnen würde. Die Operation Al-Aksa-Flut hat auch den kürzlich angekündigten und viel beschworenen Handelskorridor zwischen der EU, Israel, Saudi-Arabien und Indien zunichtegemacht.
China ist sich all dieser Aufregung, die nur eine Woche vor seinem BRI-Forum in Peking stattfindet, sehr wohl bewusst. Auf dem Spiel stehen die wichtigen BRI-Verbindungskorridore – quer durch das Kernland, quer durch Russland, sowie die maritime Seidenstraße und die arktische Seidenstraße. Dann gibt es noch den INSTC, der Russland, Iran und Indien verbindet – und nebenbei auch die Golfmonarchien mit anschließt.
Die geopolitischen Auswirkungen der Operation Al-Aksa-Flut werden die geoökonomischen und logistischen Verbindungen zwischen Russland, China und Iran beschleunigen und den Hegemon USA und sein Imperium an militärischen Stützpunkten umgehen. Bei zunehmendem Handel und ununterbrochenem Güterverkehr geht es vor allem um gute Geschäfte auf Augenhöhe, mit gegenseitigem Respekt – und nicht um das Szenario eines destabilisierten Westasiens der Kriegstreiber.
Erstaunlich, was eine langsam fliegende Gleitschirm-Infanterie, die eine Grenzmauer überfliegt, alles bewirken kann.
Dieser Meinungsbeitrag erschien zuerst in englischer Sprache auf The Cradle .
Pepe Escobar ist ein unabhängiger geopolitischer Analyst und Autor. Sein neuestes Buch heißt “Raging Twenties” (Die wütenden Zwanziger). Man kann ihm auf Telegram und auf X folgen.
Quelle