Analyse
Ukraine kann Garnison in Artjomowsk nur opfern – um Wagner-Sturmtrupps zu verlangsamen
Diesem Zweck dienen die jüngst aufgenommenen Angriffe und Erkundungsstreifzüge des russischen Militärs gegen Stellungen des Gegners südlich der Stadt Kupjansk, die sie im September 2022 aufgegeben hatten, wertet Juri Podoljaka. Ebenfalls diesem Zweck – neben dem des Ausbaus der Zange um Sewersk – dienen auch die Offensivaktionen mit der Stoßrichtung Krasny Liman, so der Journalist.
In und bei Artjomowsk verzeichnen derweil die Sturmtrupps des russischen privaten Militärdienstleisters Wagner ihrerseits Erfolge. Allzu weit konnten sie in der vergangenen Woche zwar nicht vorrücken. Doch hier ist erstens die Beschaffenheit der Defensivlinie des Gegners wichtig, durch die sie vorgestoßen sind: Sie verläuft westlich der Stadt von Nord nach Süd und stützt sich auf Hügel der Wasserscheidelinie: Im Raum Chromowo und Bogdanowka konnte Jewgeni Prigoschins “Orchester” einige solcher Hügel erobern – sie dominieren jedoch über die umliegende Landschaft, was Wagner erlaubte, eine weitere Versorgungsstrecke des ukrainischen Aufgebots in Artjomowsk selbst unter Feuer zu nehmen.
“Das schlug sich sofort negativ auf dessen Widerstandsfähigkeit nieder – und ermöglichte es, die Offensive in der Stadt selbst zu intensivieren. Sprich, hier ist alles miteinander verbunden, und das eine bedingt das andere”, macht Podoljaka aufmerksam. Am nördlichen Ende der besagten ukrainischen Defensivlinie, im Raum Orechowo-Wassiljewka und Minkowka, brachten die Wagner-Sturmtrupps Kiews Truppen immerhin in arge Bedrängnis.
Der dortige dominante Hügel muss erst erstürmt werden. Doch danach bieten sich Russland Aussichten auf deutlich leichteres Vorrücken nach Süden gegen Tschassow Jar – ebenso wie nach Norden, gegen die gegnerische Gruppierung im Ballungsraum Slawjansk-Kramatorsk. Und zweitens wirft das ukrainische Kommando gegen die Wagner-Truppen immer weitere Reserven in den Kampf – einschließlich seiner Elite-Einheiten, die von den “Musikern” methodisch aufgerieben werden, so der russische Militärbeobachter.
Juri Podoljaka ist ein ukrainischer politischer Blogger (auf YouTube hatte sein Kanal vor der Löschung durch die Verwaltung der Plattform 2,6 Millionen Abonnenten) und Journalist aus Sumy (er wohnt seit dem Jahr 2014 im russischen Sewastopol), dessen Einsichten im Zeitraum um den Beginn der Intervention in den russischen Medien zunehmend gefragter wurden. Seine Analyseausgaben warten mit nur wenigen Zahlen auf – dafür vermittelt er durch Arbeit mit Karten aber ein gutes Verständnis vom räumlichen Umfang der jeweiligen Entwicklungen und bietet dann und wann kurzfristige Prognosen.
An Quellen bemüht Podoljaka einerseits offen zugängliche Daten: Dies sind Meldungen von Augenzeugen in den sozialen Medien sowie Meldungen des russischen, aber auch des ukrainischen Verteidigungsministeriums. Andererseits gibt er Insiderquellen an: Neben solchen in den Volksmilizen und Sicherheitsorganen der russischen Volksrepubliken Donezk und Lugansk seien dies solche in den ukrainischen Sicherheits- und Regierungsbehörden, die er aufgrund alter Beziehungen aus der Zeit als ukrainischer Journalist noch zu unterhalten erklärt. Um es mit dem aktuellen Jargon der Aufklärungsdienste auszudrücken, ist Juri Podoljaka also vornehmlich ein OSINT-Analyst.