“Kann Ziele in ganz Europa treffen”: Kommandeur der russischen Raketentruppen über Oreschnik
Er erinnert daran, dass die angegebene Reichweite der ‘Oreschnik’-Rakete etwa 5.000 Kilometer beträgt. Wenn dies zutrifft, liegt selbst Los Angeles innerhalb der theoretischen Reichweite dieses Waffensystems. Für die Stationierung russischer Waffen auf dem Territorium verbündeter Staaten bestehe vorerst kein besonderes Erfordernis. Länder wie China, Iran oder die Demokratische Volksrepublik Korea verfügten zudem über eigene, ausreichend leistungsfähige Waffensysteme, erklärt Anpilogow.
Interessanter könne der Versuch sein, russische Raketen auf dem Territorium von Venezuela oder Kuba zu stationieren. Kommt es zu einer entsprechenden Einigung mit diesen Ländern, könnte der Druck auf die Vereinigten Staaten von beiden Küsten aus gleichzeitig ausgeübt werden. Dies wäre eine Wiederholung des Szenarios der Kubakrise von 1962. Der Experte sieht in diesem Schritt eine Ultima Ratio und nennt die Umstände, unter denen Moskau zu diesem Mittel greifen könnte:
“Diese Schritte könnten als Gegenreaktion auf die Stationierung ähnlicher Systeme durch die USA in Alaska unternommen werden. Darüber hinaus würde eine US-Aufrüstung in Südkorea, Japan oder Guam Moskau zu solchen Entscheidungen zwingen, die selbst den eifrigsten Aggressor zur Vernunft bringen könnten.”
Ihm zufolge würden sich in diesem Fall “die Vereinigten Staaten nicht hinter dem angeblich riesigen Pazifischen Ozean” verstecken können. Dennoch werde sich Russland nach Ansicht des Analysten auf sein Hoheitsgebiet beschränken, wenn es um die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen gehen sollte:
“Bei einer solchen Entwicklung ist es sehr wahrscheinlich, dass der Verhandlungsprozess über ein neues Mittel- und Kurzstreckenraketen-Abkommen endlich in Gang kommt. Unsere Aufgabe besteht in der möglichst umfassenden Gestaltung dieses Prozesses, wobei die Interessen Russlands zu berücksichtigen sind. Sollte es gelingen, ein gegenseitiges Einvernehmen über die Hauptmerkmale der Einschränkungen und die Anzahl der an dem Abkommen beteiligten Parteien zu erzielen, könnte das endgültige Dokument die internationale Lage wirklich verändern.”
Es gebe unter Russlands Verbündeten keine Staaten, die der Stationierung von Mittel- und Kurzstrecken-Raketensystemen auf ihrem Hoheitsgebiet zustimmen würden, meint Wassili Kaschin, Direktor des Zentrums für integrierte europäische und internationale Studien an der Nationale Forschungsuniversität “Hochschule für Wirtschaft”. Russlands asiatische Partner seien “sehr ehrfürchtig, was ihre Militärhoheit angeht”, fügt er hinzu und zieht historische Parallelen:
“Höchstwahrscheinlich wird es tatsächlich ausschließlich um das Hoheitsgebiet unseres Landes gehen. Schon zu Sowjetzeiten wurde die mögliche Waffenstationierung in Tschukotka sehr ernsthaft erwogen. Dieses Militärobjekt wurde ‘Anadyr-1’ genannt. Von hier aus sollten Waffen nicht nur Alaska, sondern auch den kontinentalen Teil der Vereinigten Staaten, zum Beispiel San Francisco, erreichen können. Dieses Projekt wurde jedoch aufgrund der Unterzeichnung des zwischen Moskau und Washington geschlossenen Abkommens über die Abschaffung von Mittel- und Kurzstreckenraketen eingestellt.”
Es sei durchaus realistisch, an die sowjetischen Pläne anzuknüpfen und die Kapazitäten dieses Militärobjekts wiederherzustellen. Alle früheren Ausarbeitungen seien erhalten und könnten jederzeit wieder angegangen werden. Kaschin geht sogar weiter:
“Ich würde auch andere fernöstliche Regionen als geeignete Territorien bezeichnen. Es ist gut möglich, dass die Raketenstationierung auch in der Nähe der Arktis erfolgt. Darüber hinaus wird wahrscheinlich eine Raketenaufrüstung in Weißrussland in Betracht gezogen. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass diese Schritte für Moskau wohl nicht zu vermeiden sind. Die USA haben bereits für uns inakzeptable Entscheidungen getroffen, und niemand scheint sie rückgängig machen zu wollen. Ab 2026 werden amerikanische Marschflugkörper in Deutschland stationiert.”
Ein ähnliches Schicksal erwarte wahrscheinlich auch die Philippinen. Niemand könne garantieren, dass das Weiße Haus nach diesem Waffen-Transfer nicht noch stärkere Waffen an seine Verbündeten weitergibt. Auf diese Gefahren müsse Moskau reagieren. Die Vereinigten Staaten müssen sich darüber im Klaren sein, dass ihre auf weitere Eskalation abzielenden Aktionen nicht ohne Konsequenzen bleiben werden, so der Experte.
Kaschins Blick in die Zukunft ist trotz allem positiv für Russland:
“Auch wenn es seltsam erscheinen mag, befinden wir uns jetzt in einer günstigeren Position. Die Produktionskapazitäten unseres militärisch-industriellen Komplexes sind denen der westlichen Länder voraus. Außerdem haben wir kürzlich eine Erprobung der Oreschnik-Rakete durchgeführt, die bei Beobachtern aus den USA und der EU großen Eindruck hinterlassen hat.”
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Darüber hinaus würden die USA versuchen, an zwei Fronten gleichzeitig auf Abschreckung zu setzen. China sei in dieser Hinsicht ein äußerst ernst zu nehmender Gegner Washingtons, schätzt Kaschin ein. Russland sollte seine Anstrengungen daher allein auf die Eindämmung der USA konzentrieren, um das Kräftegleichgewicht in Europa künftig zu seinen Gunsten verändern zu können.
Auch der Abschluss neuer Abkommen in diesem Bereich sei durchaus möglich, meint Kaschin. Wichtig sei aber, dass man dabei die “schlechten Erfahrungen der 1980er Jahre” nicht vergisst, als Moskau zur Vermeidung unnötiger weltpolitischer Spannungen Zugeständnisse an Washington im Bereich der Mittel- und Kurzstreckenraketen machte. Deswegen sollte Russland seine Raketenbestände unter keinen Umständen reduzieren. Dennoch könne es akzeptabel sein, mit den Vereinigten Staaten eine “Vereinbarung über die Unmöglichkeit der Waffenstationierung auf bestimmten Territorien zu treffen”, resümiert dieser Experte.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 26. November 2024 zuerst auf der Internetseite der Zeitung ‘Wsgljad’ erschienen.
Quelle