NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat in einem Interview mit dem Fernsehsender Sky News eingeräumt, dass Russland seine Verteidigungsindustrie schneller verstärkt habe als erwartet. Er beklagte zudem, dass die Länder der Allianz ihrerseits viel Zeit beim Ausbau der Waffenproduktion verloren hätten. Auch Defense News berichtete jüngst, dass amerikanische und europäische Militärbeamte, die zuvor von angeblich großen militärischen Verlusten der russischen Armee sprachen, in den letzten Monaten eingestanden hätten, dass Russlands Rüstungsindustrie sich viel schneller erholt habe als erwartet.
“Es stimmt, dass Russland die Verteidigungsindustrie schneller verstärken konnte, als wir erwartet hatten, und es stimmt, dass die NATO-Verbündeten mehr Zeit als nötig auf die Steigerung der Produktion verwendet haben”, erklärte Stoltenberg.
Der Grund für den Rückstand der westlichen Länder liege darin, dass “wir nach dem Kalten Krieg unsere Verteidigungsindustrie abgebaut haben”, erklärte er. Allerdings, so Stoltenberg, verbessere sich die Situation jetzt, da alle NATO-Verbündeten ihre Produktionskapazitäten für Munition und Waffen ausbauen würden:
“In den letzten Monaten gab es Verzögerungen und Lücken bei Lieferungen nach Kiew, aber dies ändert sich wirklich und der Strom von Munition in die Ukraine hat in den letzten Wochen zugenommen.”
Die Fortschritte Russlands im Gebiet Charkow in den vergangenen Wochen zeigten “die Notwendigkeit, unsere Unterstützung für Kiew zu verstärken”, erklärte der NATO-Chef. Sie werde fortgesetzt, auch wenn der ehemalige US-Präsident Donald Trump im November die Wahl gewinnen sollte. Denn die Ukraine-Hilfe liege im Interesse sowohl Europas als auch der USA, betonte Stoltenberg.
Trump steht Waffenlieferungen an die Ukraine seit Monaten skeptisch gegenüber. Er argumentiert, dass die USA keine Auslandshilfe leisten sollten, es sei denn, sie werde in Form eines Kredits gewährt. Zudem besteht er darauf, dass die Hauptunterstützung aus Europa kommen sollte. Indes würde ein russischer Sieg über die Ukraine “die Welt gefährlicher und uns verwundbarer machen”, warnte Stoltenberg:
“Ich bin absolut sicher, dass sowohl die europäischen Verbündeten als auch die USA die Ukraine weiterhin unterstützen werden, da diese Unterstützung unseren Sicherheitsinteressen entspricht. Ich erwarte, dass die Vereinigten Staaten diese unabhängig vom Ausgang der Wahlen fortsetzen werden.”
Auch der norwegische Verteidigungsminister, General Eirik Kristoffersen, erklärte neulich in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg, dass die NATO sich rascher auf eine mögliche Konfrontation mit Russland vorbereiten und ihre Pläne aufgrund der unerwarteten Erfolge der russischen Verteidigungsindustrie anpassen müsse:
“Um diese Pläne zur Verstärkung der Militärmacht in den nächsten Jahren umzusetzen, müssen wir uns beeilen. Wir müssen das in zwei bis drei Jahren schaffen, um für alles bereit zu sein.”
Dies seien deutlich kürzere Zeiträume, als einige Analysten angenommen hatten, berichtet RIA Nowosti. Die NATO-Mitgliedstaaten diskutieren seit einiger Zeit über die wachsenden militärischen Fähigkeiten Russlands und seine Fähigkeit, seine eigenen Ressourcen trotz des umfassenden Einsatzes in der Ukraine schnell wieder aufzufüllen.
Russland vertritt demgegenüber die Ansicht, dass Waffenlieferungen an die Ukraine die Konfliktlösung behindern, die NATO-Staaten direkt in den Konflikt verwickeln und ein “Spiel mit dem Feuer” darstellen. Der Kreml hat mehrfach erklärt, dass die Aufrüstung der Ukraine durch den Westen möglichen Verhandlungen nicht förderlich sei und negative Auswirkungen haben werde.