Zölle zu hoch? Trump schlägt Trudeau Anschluss Kanadas an USA vor
“Trump verfolgt die Linie der Eskalation weiter, die er bereits während seiner ersten Amtszeit als US-Präsident eingeschlagen hat. Um in Verhandlungen voranzukommen, stellt er unannehmbare Bedingungen, damit der Gegner seine Forderungen reduziert. Trump heizt die Lage bewusst an. Aber in Wirklichkeit ist es unwahrscheinlich, dass Kanada zum nächsten US-amerikanischen Staat wird”, sagt Konstantin Blochin, ein führender Forscher am Zentrum für Sicherheitsstudien der Russischen Akademie der Wissenschaften.
Dem Experten zufolge liebt es Trump, die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen und dafür derart lautstarke Aussagen zu machen. “Für Trump ist es das Wichtigste, dass man über ihn spricht. Deshalb formuliert er auch seine aufgeblasenen Verhandlungspositionen. Aber das wird zu nichts Ernsthaftem führen. Trump weiß ganz genau, dass weder Kanada noch Mexiko einen Handelskrieg anzetteln werden”, glaubt Blochin.
“Im Allgemeinen sind Trump und Trudeau politische Feinde, aber eine gewisse diplomatische Höflichkeit hindert Trump daran, noch härter gegen den kanadischen Premierminister vorzugehen. In seinem Verständnis ist Trudeau ein liberaler europäischer Beamter, und Kanada ist Teil des liberalen Europas, das gegenüber der Demokratischen Partei der USA absolut rechenschaftspflichtig ist”, bemerkt der Amerikanist Dmitri Drobnizki.
Der Experte bezeichnet die Politik Trumps gegenüber Kanada während seiner ersten Amtszeit als Erfolg. “Viele Leute haben auf Trumps Aussagen geachtet, aber die Zahlen vergessen, dabei hat er eine Menge erreicht. Kanada profitiert wirklich von Re-Exporten in die USA, denn 100 Milliarden US-Dollar sind ziemlich viel. Trump hat lediglich seine Bedingungen für die Fortsetzung des Handels dargelegt”, erklärt Drobnizki.
Da Trump Trudeau und seine Regierung als “Marionetten seiner politischen Gegner” betrachtet, könnte der Versuch der Kanadier, einen Handelskrieg mit den USA zu inszenieren, unvorhersehbare Folgen für Kanada selbst haben, erläutert der Amerikanist. “Trudeau wird durch die Tatsache gerettet, dass er der Regierungschef eines anderen Staates ist, sonst müsste er von Trump noch mehr Schläge einstecken. Die Drohungen Ontarios, den USA den Strom abzudrehen, sind sehr amüsant. Im Nordosten gibt es einen einheitlichen Energiering, also müssen sie auch der Hälfte der kanadischen Bevölkerung den Strom abdrehen”, so Drobnizki.
Nach Ansicht des politischen Analysten sollte sich Trudeau ein Beispiel an der mexikanischen Regierungschefin Claudia Sheinbaum nehmen, die in einem Telefonat mit Trump strittige Themen erörterte. “Die Position Kanadas hingegen ist ziemlich aussichtslos. Wir wissen nicht, wie Trumps Zollpolitik aussehen wird, aber er hält Kanada sicher nicht für einen echten Staat und Trudeau nicht für einen echten Regierungschef. Deshalb hat Trump völlig recht, wenn er Trudeau vorwirft, dass Kanada seine Sonderstellung ausnutzt und an den USA verdient, ohne etwas zu tun, um den Vereinigten Staaten zum Beispiel bei der Fentanyl-Epidemie zu helfen”, argumentiert Drobnizki.
Retourkutsche gegen Trump: Kanada kündigt Strafzölle gegen bestimmte US-Produkte an
“Kanada wird ein brennendes Thema für Trump sein, und zwar noch mehr als während seiner ersten Amtszeit”, meint der Amerikanist Boris Meschujew, leitender Forscher am Institut für wissenschaftliche Informationen im Bereich der Sozialwissenschaften der Russischen Akademie der Wissenschaften und außerordentlicher Professor am Lehrstuhl für Philosophie der Staatlichen Universität Moskau.
Meschujew schließt nicht aus, dass Ottawa in Zukunft versuchen könnte, die Streitigkeiten über Zölle und Energiewirtschaft in einen härteren außenpolitischen Konflikt zu verwandeln, um “seine Unbeugsamkeit zu demonstrieren”.
“Es ist möglich, dass Trudeau auf die Unterstützung anderer NATO-Mitglieder zählt und ein Anziehungspunkt für bestimmte Ressourcen, einschließlich politischer und kultureller, werden möchte. Ich möchte daran erinnern, dass nach Trumps Sieg im Jahr 2016 in der Presse zu lesen war, dass die Unabhängigkeit der USA ein Fehler gewesen sei und man den kanadischen Weg hätte einschlagen müssen. Das ist natürlich eine harsche Sichtweise, aber wer weiß, vielleicht wird sie ja Teil einer neuen nationalen Idee”, sagt Meschujew.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 13. Dezember 2024 zuerst auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.
Andrei Restschikow ist Analyst bei der Zeitung Wsgljad.
Quelle