Meinung

Überall Spione, aber nirgends ein nationales Interesse

Überall Spione, aber nirgends ein nationales Interesse

Screenshot aus “17 Augenblicke des Frühlings”: Funker bei der Arbeit

Von Dagmar Henn

Jetzt wird es wirklich kompliziert. Eigentlich müsste man sagen, mit der Festnahme des Mitarbeiters des AfD-Politikers Maximilan Krah wegen Verdachts der Spionage für China haben sie endgültig überdreht, schließlich wurde Krah erst vor kurzem vorgeworfen, mehr oder weniger in russischen Diensten zu stehen. Da fehlt jetzt eigentlich nur noch eine Sekretärin mit Verbindungen in den Iran.

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Keine der Geschichten, die dargeboten werden, klingt wirklich überzeugend. Weder Fotos im wirklich unbedeutenden Grafenwöhr, noch der Export eines (!!) Industrielasers nach China reißen den James Bond gewöhnten Zuschauer vom Hocker. Und auch objektiv ist Industriespionage in Deutschland nur noch selten interessant. Nebenbei, die fleißigsten Industriespione waren stets die US-Amerikaner; Gelegentlich wurde sogar der eine oder andere davon medienwirksam verhaftet, aber in der Regel überließ man dies den Sicherheitsdiensten der Konzerne.

Ja, die beiden vermeintlichen chinesischen Spione sollen Informationen über leistungsfähige Schiffsmotoren beschafft haben… sicher, die verbreitetsten Motoren für große Schiffe stammen von MAN B&W, und werden auch in China verbaut, das längst weltweit die meisten Schiffe baut; aber diese Motoren werden nicht in Kisten verpackt dorthin gebracht, sondern ebenfalls dort produziert, nur in Lizenz. Weshalb man davon ausgehen kann, dass alles, was die zwei Festgenommenen zu diesem Thema hätten erkunden können, in China schon längst bekannt ist. Zudem ist der einzige Sektor, in dem die chinesische Marine noch zu den USA aufholen muss, der U-Boot-Bau. Nachdem in Düsseldorf eher keine U-Boote gebaut werden, und ohnehin die russischen Erfahrungen da wesentlich umfangreicher sind als die deutschen, bleibt also das vermeintliche Objekt der Spionage weitgehend sinnfrei. Im Gegenteil – nachdem der chinesische Schiffbau so viel umfangreicher ist als der deutsche, würde von einer Forschungszusammenarbeit die deutsche Seite vermutlich mehr profitieren als die chinesische, weil es meist die praktischen Erfahrungen sind, die Forschungsprojekte zur Reife bringen.

Aber letztlich ist es verlorene Liebesmüh, jeden einzelnen dieser aufgeblasenen Fälle durchzuargumentieren, selbst wenn man den Eindruck gewinnt, dass die Bundesanwaltschaft gerade Amok läuft. Denn viel wichtiger als die Details in diesen Fällen sind zwei Fragen: Warum wird gerade so viel Wert darauf gelegt, überall Spione zu sehen? Und wie ist die Frage derartiger Spionage zu sehen, wenn man das Handeln der aktuellen Bundesregierung mit betrachtet?

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Nein, es geht bei dieser inzwischen erkennbare Kampagne nicht nur darum, politische Gegner zu diskreditieren (wetten, im Umfeld von BSW finden sie demnächst auch jemanden?), oder den leicht beeinflussbaren Teil der Bevölkerung mit einem neuen Hobby zu versehen. Tatsächlich ist das eine Art Propaganda durch Umkehrschluss. Dadurch, dass man überall irgendwelche Agenten findet und den allgemeinen Eindruck erweckt, sie seien eine allgegenwärtige Gefahr, wird einerseits ständig betont, wie gefährlich Russland und nun auch China seien (wobei man sich schon fragt, ob das, sollte Bundeskanzler Scholz sich wirklich bemüht haben, die deutschen Wirtschaftsbeziehungen zu China zu retten, mit ihm abgesprochen war oder ob auch da interne Auseinandersetzungen allmählich hässlich werden). Aber mit diesem Narrativ wird auch noch ein anderes Ziel verfolgt.

Denn es gibt zwei Botschaften, die ganz nebenbei vermittelt werden, die wesentlich wichtiger sind. Die erste lautet: Es gibt in Deutschland noch etwas, das sich auszuspionieren lohnt. Damit wird die Vorstellung einer technologischen Überlegenheit geweckt oder verfestigt, die tatsächlich längst nicht mehr vorhanden ist. Das sieht bezogen auf das Militär nicht anders aus. Die Angriffspläne der Ukraine im vergangenen Sommer waren nicht nur bis ins Kleinste zuvor in der Presse zu lesen, sie waren zugleich das Beste, was die NATO zu bieten hat. Da lohnt sich die Spionage schon gar nicht mehr, selbst wenn die Gespräche nicht über ein Hotel in Singapur geführt werden.

Und die zweite lautet: Hier wird das deutsche Interesse verteidigt. Das ist die wirklich ungeheuerliche Lüge. Es ist mühsam, in der deutschen Geschichte eine Regierung zu finden, die so konsequent, so offen und so rücksichtslos gegen die deutschen Interessen agiert hat wie die gegenwärtige. Die Regierung Adenauer, die die 40 Jahre Spaltung initiierte? Die Naziregierung? Viel länger ist die Liste der Konkurrenten nicht, und Adenauer schadete zwar massiv den nationalen Interessen, zerstörte aber nicht die wirtschaftlichen Existenzgrundlagen.

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Und schon gibt es einen Konflikt zwischen dem Buchstaben und dem Sinn des Gesetzes. Denn hinter der technischen Formulierung der entsprechenden Paragrafen des Strafgesetzbuches steht ein damit verfolgter Zweck, der gar nicht anders lauten kann als die deutschen Interessen zu bewahren. Was aber, wenn die deutschen Interessen gar nicht auf Seiten der Regierung liegen, weil die Regierung anderen Interessen dient?

Wie ist es beispielsweise mit den sowjetischen Spionen, die in Nazideutschland und dessen Strukturen tätig waren? Das war bei weitem nicht nur Richard Sorge. Man ist derartige Überlegungen nicht mehr gewöhnt, aber es macht doch Sinn, sich in solchen Gedanken zu üben. Wenn damals, was schwer zu bestreiten ist, das zentrale nationale Interesse in der Befreiung vom Hitlerfaschismus bestand, dann war jede Tätigkeit, die diesem Zweck diente, auf keinen Fall eine Tätigkeit, die sich gegen Deutschland richtete, ganz im Gegenteil. In der Bundesrepublik hat man sich ungern mit diesem Teil der Geschichte beschäftigt; in der DDR dafür vergleichsweise ausführlich, weshalb man, wenn man einen Einblick erhalten will, mit Büchern aus dem Militärverlag der DDR am Besten bedient ist.

Es ist deshalb eine schwierige Frage, weil die von westlicher Seite betriebene Spaltung eine so klar gegen das nationale Interesse gerichtete Handlung war und man deshalb eine Debatte über die moralischen Fragen, die sich aus dem Zusammenhang zwischen diesem Interesse und der Definition von Spionage ergeben, lieber nicht anfasste. Dazu kam natürlich, dass sich die eigenen Strukturen, wie Verfassungsschutz und BND, genau aus den Kräften eben jener anderen gegen das nationale Interesse gerichteten Regierung rekrutierten. Wie sollten all die alten Nazis den Schluss unterstützen, dass nur das gegen sie gerichtete Handeln moralisch legitim und dem nationalen Interesse dienlich war?

Bei der aktuellen Bundesregierung wartet man im Grunde schon fast auf die Schlagzeile “deutscher Spion im Kanzleramt enttarnt.” Oder im Auswärtigen Amt. Was natürlich der Hysterie, jetzt in Deutschland nach Spionen fremder Mächte zu suchen, einen geradezu komischen Beigeschmack verleiht; schließlich sind die schlimmsten und wirkungsvollsten fremden Agenten ganz einfach zu finden, man muss nur die Regierungsbank leeren. Die Frau mit der Dracula-Frisur ist da bestenfalls Dreingabe.


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Eine Spionageshow mit Hintergedanken

Die relevanten Paragrafen des Strafgesetzbuches finden sich ab §90 aufwärts. Wie gesagt, der kritische Punkt ist dabei stets das deutsche Interesse und der “Bestand der Bundesrepublik Deutschland”. Führt die Politik der gegenwärtigen Regierung eine Gefahr für den Bestand der Bundesrepublik Deutschland herbei? Aber wie! Und das gleich mehrfach. Auf der einen Seite durch massive Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen, und auf der anderen durch eine fortgesetzte Kriegstreiberei, die nicht nur droht, das Land in eine militärische Auseinandersetzung zu ziehen, sondern zudem dazu beiträgt, die Gefahr eines nuklearen Krieges herbeizuführen. Man könnte sogar mit einiger Legitimität argumentieren, dass die innenpolitische und vor allem die juristische Entwicklung der letzten Zeit ebenfalls eine massive Bedrohung für den Bestand der Bundesrepublik, vor allem ihre demokratische Verfasstheit, darstellen, wenn man nicht zu der Überzeugung gelangt, dass hier die Schwelle bereits überschritten wurde.

Außerdem lässt sich ziemlich eindeutig erkennen, zu wessen Gunsten – und damit natürlich auch in wessen Auftrag – all das geschieht. Ob es sich um ein formelles Dienstverhältnis handelt oder nur um ideologische Gefolgschaft, ist letztlich unerheblich. Was dann in der Folge die Lösung der moralischen Frage ziemlich vereinfacht. Wenn man zu dem Schluss käme, dass das wichtigste politische Ziel derzeit eine Wiedererlangung der Souveränität sein müsse, und der Gegner dieser Souveränität die Vereinigten Staaten und ihre politischen Agenten sind, dann wäre der nächste logische Schritt, dass das, was eben diese Vereinigten Staaten und ihre deutsche Bundesregierung schwächt, im deutschen nationalen Interesse liegen müsse. Was dann relativ logisch auch all das mit einschlösse, was derzeit in Deutschland so gerne als Vorwurf vorgetragen wird.

Das erklärt auch, warum diese ganzen Fälle derart banal sind. Sie müssen es sein. Denn in dem Moment, in dem auch nur die Erinnerung an die großen Spionageerzählungen der Geschichte wachgerufen wird, werden all die moralischen Fragen, die damit verknüpft sind, ebenfalls geweckt. Und in Deutschland sind das zwangsläufig Erzählungen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, weil in den Jahrzehnten der Spaltung zumindest auf Seiten des Warschauer Vertrags die DDR für die Bundesrepublik zuständig war (in der DDR versuchte sich schlicht alles), und die Frage des nationalen Interesses bei deutsch-deutscher Spionage auf bundesdeutscher Seite schwer unterzubringen ist. Man hat es nach 1990 natürlich dennoch versucht, so sehr das auch gegen die Vorstellung einer Vereinigung verstieß. Aber man kann derzeit sehen, dass man dieses Thema lieber völlig vergessen würde (was auch ein klein wenig damit zu tun hat, dass Dienst West seinem Pendant Dienst Ost fachlich einfach völlig unterlegen war).

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Es muss also versucht werden, ständig von Spionage zu reden, ohne den Gedanken des nationalen Interesses überhaupt ins Spiel zu bringen. Augenblicklich erweckt das Ganze den Eindruck, irgendjemand habe mitbekommen, wie gefährlich dieser Punkt werden könnte; denn die ganze Geschichte, die rund um das tschechische Portal Voice of Europe aufgebaut wurde, zielte mit Sicherheit ursprünglich auf mehr als einen schwachen Vorwurf gegen den AfD-Politiker Petr Bystron, womöglich 20.000 Euro aus dem Umfeld eines ukrainischen Oppositionspolitikers erhalten zu haben. Es erweckte eher den Eindruck, man wollte die Liste der AfD zur EU-Wahl aus dem Verkehr ziehen.

Nun ist es allerdings in Deutschland keine Straftat, von irgendjemandem aus einem anderen Land Geld bekommen zu haben. Im Regelfall stellt sich dann bestenfalls die Frage, ob Schenkungssteuer fällig würde. Illegal wäre es dann, wenn dieses Geld der Parteienfinanzierung diente. Wenn damit eine überteuerte Armbanduhr gekauft wird, ist das nur privater Unfug. Eine Straftat könnte es erst dann werden, wenn dieses Geld nachweislich ein bestimmtes Verhalten auslöst, und wenn dieses Verhalten dann zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland wäre. Das allerdings müsste nachgewiesen werden, und bliebe in einem derartigen Fall auch keinesfalls hinter verschlossenen Türen. Eine öffentliche Auseinandersetzung darum, wo das deutsche Interesse liegt und ob die Bundesregierung diesem Interesse folgt oder nicht – womöglich noch gewürzt mit allerhand Wirtschaftsgutachten etc. – ist nichts, was sich diese Regierung wünschen kann.

Also bleibt es bei den einfachen, lächerlichen Fällen, die entweder mit Stumpf und Stiel geschluckt oder als Luftnummern vergessen werden. Um bei dem verbliebenen Teil der Bevölkerung, der die offiziellen Verlautbarungen noch folgsam glaubt, die entsprechende Hysterie auszulösen, braucht es nicht viel, das wurde von Corona bis Correctiv mehrfach belegt. Die Übrigen hofft man, durch die Banalität nicht auf dumme Gedanken zu bringen. Wie eben jene, wo das wirkliche nationale Interesse Deutschlands liegt, und wer ihm im Dienst welcher ausländischen Mächte Schaden zufügt. Nur, derartige Erwartungen sollen schon getäuscht haben. Wie mit den Sanktionen wurde hier etwas losgetreten, das den Handelnden schwer auf die Füße fallen könnte.

Quelle

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