Jacht-Unglück in Italien: Taucher bergen fünfte Leiche – vermutlich Mike Lynch
Es ist auch unmöglich, dieses Boot zu versenken. Dazu müssten statistisch unmögliche Ereignisse zusammentreffen. Oder man muss es verankern und mit fünf Bulldozer-Traktoren an der Mastspitze ziehen.
In der Nacht zum 19. August verschwand das 56 Meter lange Boot Perini Navi an einem Ankerplatz 300 Meter vor der Küste Siziliens. Es handelte sich um ein sehr frisches Boot – Baujahr 2018. Bei der Bootstaufe wurde es Salute genannt, zum Zeitpunkt seines Untergangs hieß es Bayesian.
Der seltsame Name stammt vom Nachnamen des hervorragenden Wissenschaftlers und Priesters Thomas Bayes, der das Bayes’sche Theorem (Bayesian statistics) formulierte, mit dem man die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses bestimmen kann, wenn ein anderes, statistisch damit zusammenhängendes Ereignis eingetreten ist. Merkt euch einfach diese Formel. Sie wird sich später als nützlich erweisen.
Diesen Namen gab dem Boot sein neuer Besitzer – der Mann, den man den “britischen Bill Gates” nennt –, der 59-jährige Mike Lynch, der für die Gründung des Softwaregiganten Autonomy einen Orden des britischen Weltreichs erhielt. Die Idee, die er zur Philosophie-Grundlage seines Unternehmens machte, basierte auf dem Bayes’schen Theorem.
Bis jetzt sieht alles schön und stolz aus. Das Unternehmen begann mit der Erkennung von Fingerabdrücken und ging zur Herstellung von Verknüpfungs-Software über, die auf der Grundlage des sogenannten Meaning-based Computing und Bilderkennung anpassbare Mechanismen zur Kategorisierung von Inhalten bietet.
Der Börsengang des Unternehmens an der Londoner Börse erfolgte im Jahr 1998. In den folgenden zwei Jahren wuchs die Marktkapitalisierung des Unternehmens um das Hundertfache, überstieg auf dem Höhepunkt des Dotcom-Booms die Marke von zehn Milliarden Dollar und machte Lynch zum Dollar-Milliardär.
Es sieht also alles ganz gut aus.
Jedoch konnten Lynch und fünf weitere Gäste auf dem gesunkenen Boot bis heute nicht gefunden werden – und dies, nachdem ein Wassertornado am Montagmorgen um 4.30 Uhr wie aus dem Nichts zuschlug und das Boot Bayesian vermutlich auf die Seite legte, sodass es innerhalb von wenigen Sekunden sank. Von den offensichtlichen Todesopfern wurde lediglich der Koch identifiziert, 15 Personen wurden gerettet, und nach weiteren sechs wird noch gesucht.
In der Nähe befand sich ein weiteres Boot, nämlich das 42-Meter-Boot Sir Robert Baden Powell, dessen Wachmann den Motor anließ und sich vom “Tornado” entfernen konnte. Als die Mannschaft dieses Bootes zum Ankerplatz der Bayesian zurückblickte, war es nicht mehr an der Oberfläche, und der deutsche Kapitän begann, die Überlebenden von der Meeresoberfläche zu holen.
Aus irgendeinem Grund war von der Mannschaft des untergegangenen Bootes niemand auf Wache, der den Motor hätte starten und der Katastrophe entkommen können. Höchstwahrscheinlich wurden alle Türen und Schotten der Bayesian drucklos gemacht, denn ein Boot dieser Klasse kann nicht einfach sinken. Die Bayes’sche Wahrscheinlichkeit von Ereignissen beginnt hier zu explodieren.
“Britischer Bill Gates” und Morgan-Stanley-Vorsitzender nach Jachtunglück vermisst
Von den sechs Verschollenen (so nennt man die nicht aufgefundenen potenziellen Leichen) sind neben dem Magnaten Lynch auch der Vorsitzende von Morgan Stanley Jonathan Bloomer und Lynchs Anwalt Chris Morvillo unauffindbar. Zur Erinnerung: Morgan Stanley ist das zweitgrößte multinationale US-Finanzunternehmen.
Was führte all diese Leute an Bord der Bayesian zusammen?
Im Kreise von Anwälten, Freunden und Familienmitgliedern wollte Lynch seinen gerichtlichen Sieg feiern. Gerade hatte er sich gegen massive Anschuldigungen von Hewlett-Packard gewehrt, das ihm Autonomy für elf Milliarden US-Dollar abgekauft hatte und ihn kurze Zeit später wegen Betrugs in Form einer überhöhten Kapitalisierung verklagte. Neben ihm wurde auch sein Chief Commercial Officer Sushovan Hussain verklagt, der prompt als Geisel genommen und fünf Jahre lang im Gefängnis festgehalten wurde, mit dem Ziel, die Hälfte des für das verkaufte Unternehmen gezahlten Preises zurückzuerhalten. Der Autonomy-Vizepräsident für Finanzen Stephen Chamberlain trat in Lynchs Prozess als Mitangeklagter auf.
Nach einem jahrelangen Rechtsstreit, in dem Lynch trotz aller Verdienste von den britischen Behörden an die USA ausgeliefert wurde, gewannen diese Unternehmensführer den Gerichtsprozess und wurden am 24. Juni 2024 vollständig freigesprochen.
Genau das feierte Lynch an Bord eines wunderschönen Bootes vor der Küste des schönen Siziliens – mit seinen Verwandten, mit seinem Rechtsanwalt, der mit all seiner Kraft und Lynchs grenzenlosem Mitteln für den Sieg vor Gericht kämpfte, und mit einem der mächtigsten Finanziers der Welt. Lynch drückte es folgendermaßen aus: “Wenn ich nicht so viel Geld hätte, wie ich jetzt habe, hätte ich diesen Gerichtsprozess nie gewonnen – so hoch sind die Prozesskosten.”
Was das Bayes’sche Theorem bezüglich des “anderen statistisch voneinander abhängigen Ereignisses” anbelangt …
Meinung
Wie beim “Mord im Orient-Express”: Schweden stellt Ermittlungen zur Sprengung von Nord Stream ein
An dem Sonnabend, der der sizilianischen Katastrophe mit einem “schrecklich-schrecklichen Sturm” auf einer Fläche von wenigen Quadratkilometern vorausging, von dem der italienische Wetterdienst aber nichts wusste und vor dem er auch nicht warnte, wurde Chamberlain beim morgendlichen Joggen im Dorf Streatham in Cambridgeshire, England, von einem vorbeifahrenden Auto getötet, das nach Polizeiangaben von einer älteren Frau gesteuert wurde. Chamberlain war, wie bereits erwähnt, bei Autonomy als Vizepräsident für Finanzen tätig.
Das heißt, zufälligerweise starben alle Triumphatoren des Hewlett-Packard-Gerichtsprozesses gegen das Autonomy-Management innerhalb von zwei Tagen. Und auch der Chef des internationalen Finanzinstituts, das Lynchs Milliarden direkt verwaltete.
Wenn ihr denkt, ich baue eine Verschwörungstheorie aus dem Nichts auf (denn so geht es einfach nicht, und es ist nicht klar, wie man die geplante Beseitigung von so vielen Akteuren eines Konfliktprozesses technisch realisieren kann), dann sage ich euch, es gibt für jede Verschwörungstheorie ein Bayes’sches Theorem, das sich direkt auf die Kausalität in unserer Welt und sogar in der modernen Informatik bezieht.
Diesem Theorem zufolge müssten Taucher früher oder später ein Loch in der Bordwand finden, denn solche Boote sinken nicht innerhalb von zwei Minuten durch den Einschlag eines Wassertornados. Das bedeutet: a) die US-Amerikaner verlieren nicht gern vor Gericht, wenn es ihnen nicht gelingt, die a priori ungerechten sechs Milliarden zu kassieren. Und genau das tun sie bei ausländischen Unternehmern auch immer. Und auch – b) – dass das Weltfinanzsystem eine noch nie dagewesene Krise erlebt und ein echter “Kannibalismus” innerhalb dieses Systems beginnt, bei dem niemand vor irgendetwas Halt macht – sieht den Nord-Stream-Fall.
Nun liegt das schöne Boot von Perini Navi mit einem gebrochenen 70 Meter hohen Mast auf der rechten Seite auf dem Meeresgrund, und die Trümmer des Bootsmobiliars hindern Taucher daran, ins Innere zu gelangen, um herauszufinden, wessen Leichen in den Kabinen eingesperrt sind.
Und es ist wirklich bedauerlich, dass dieses großartige Schiffskunstwerk untergegangen ist.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 22. August 2024 zuerst auf der Website der Zeitung Wsgljad erschienen.
Anmerkung der Redaktion: Mittlerweile sind die Leichen der sechs Vermissten geborgen und identifiziert worden. Unter den Toten befinden sich Lynch, Bloomer und Morvillo.
Quelle