Meinung Deutschland wird ruiniert – Aber es herrscht Schweigen über die Ursachen
War Komossa also MAD-Chef, oder nicht? (Er war es.) Aber würde ein MAD-Chef und Chef des Amtes für Sicherheit der Bundeswehr (ASBw) in den Jahren 1977 bis 1980 einen solchen Fauxpas in sein Sachbuch von 2007 integrieren? War es überhaupt ein Fauxpas? Unterscheiden sich vielleicht die Formate behördlicher Schreiben zwischen dem BND und dem MAD im Hinblick auf solche Vermerke wie “Strengste Vertraulichkeit”? Hätte Komossa sich auf irgendeine unabhängige Zweitquelle berufen können (ob er sich auf die Aktenfälschung bezog, ist unbekannt)? Wenn er sie gehabt hätte, warum nicht? Seiner Behauptung hätte das sicherlich mehr Gewicht verliehen. Auch wenn seine Ausführungen als eine gewisse Art Insider-Zeitzeuge mit plausiblen Berufshintergrund dennoch nicht ganz von der Hand zu weisen sein sollten. Ganze elf Jahre nach der Veröffentlichung starb der Mann im Jahr 2018, ohne auf diese Ungereimtheiten öffentlich eingegangen zu sein. In den letzten Jahren vor seinem Tod waren sein Verbleib und seine Verfassung ein Rätsel.
Der früher existente Wikipedia-Artikel zum Thema “Kanzlerakte” wurde mittlerweile gelöscht, was den Hütern des Status quo eigentlich zum Nachteil gereicht. Zumal eben dort eine erschöpfende Analyse für die Bestätigung einer groben Fälschung der erwähnten BND-Verschlußsache nachzuprüfen war. Manche Online-Analysen ignorieren jedoch die These einer “grotesken Fälschung” – samt aller formellen Argumente – und nehmen von vornherein an, dass es sich bei diesem Dokument nichtsdestotrotz um eine verlässliche, authentische Referenz handelt.
Egon Bahr als Kron-Zeitzeuge
Ein ehemals einflussreicher Mann im Machtgefüge der BRD, der sich in seinem Lebensabend befindet, sollte in seiner Mitteilungsbedürftigkeit nicht unterschätzt werden. So hatte Egon Bahr als enger Vertrauter von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD, 1969–1973) und entscheidender Bundesminister die damalige Innen- und Außenpolitik Deutschlands mitgestaltet. Bahr fiel drei große Male auf: im Jahr 2009 bei der Wochenzeitung Die Zeit , im Jahr 2011 im Gespräch mit der Jungen Freiheit und drei Jahre danach beim Magazin Compact :
“In der ‘Zeit’ habe ich geschildert, wie dem frisch gewählten Bundeskanzler Willy Brandt bei Amtsantritt ‘drei Briefe’ an die Botschafter der Westmächte zur Unterschrift vorgelegt wurden. Damit sollte er zustimmend bestätigen, was die Militärgouverneure in ihrem Genehmigungsschreiben zum Grundgesetz vom 12. Mai 1949 an verbindlichen Vorbehalten gemacht hatten. Als Inhaber der unkündbaren Siegerrechte für Deutschland als Ganzes und Berlin hatten sie diejenigen Artikel des Grundgesetzes suspendiert, also außer Kraft gesetzt, die sie als Einschränkung ihrer Hoheit verstanden. Willy Brandt war empört.”
In seiner Empörung sprach Brandt zwar von einem “Unterwerfungsbrief”, unterschrieb dann letzendlich aber doch alle drei diese Briefe – als ihm erklärt wurde, dass alle seine Nachkriegsvorgänger es ebenfalls getan hätten. “Helmut Schmidt konnte sich nicht erinnern, einen entsprechenden Brief vorgelegt bekommen zu haben. Kohl habe ich nicht gefragt”, so der 2015 verstorbene, deutsche Staatsmann Bahr.
Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages gab sieben Jahre nach Bahrs Tod die Erklärungsschablone, dass die “drei Briefe” an die drei westlichen Siegermächte vollkommen offenkundige Formalitäten gewesen seien:
“Mit seiner Unterschrift unter den von Bahr als ‘Kanzlerakte’ bezeichneten Brief hat Brandt also lediglich die ohnehin geltende Rechtslage bestätigen sollen, was Brandt geärgert habe, da ihm diese als ehemaliger Regierender Bürgermeister natürlich bestens vertraut war. Von einem durch die Unterschrift unter eine ‘Kanzlerakte’ vermeintlich zu bestätigenden ‘geheimen Staatsvertrag’ und bis zum Jahr 2099 festgeschriebenen alliierten Vorbehaltsrechten spricht Bahr in seinen Texten – in deutlichem Kontrast zu Gerd-Helmut Komossas Buch – indes an keiner Stelle.”
Die Kollegen vom wissenschaftlichen Dienst ignorieren Bahrs Pochen auf Brandts beide ausdrücklichen Gründe zur Empörung. “Vor allem hat es ihn empört, weil er als Bundeskanzler zuerst seinem Amtseid verpflichtet ist”, erläuterte Bahr genauer.
Brandt war diese Abfolge von Prioritäten – erst das Volk, das ihn wählte, dann das Verpflichten gegenüber den Siegermächten – anscheinend prinzipiell wichtig. Auch wenn er sich dann doch noch vor dem Amtseid dazu umstimmen ließ, diese Dokumente zu unterzeichnen. Des Weiteren ist die Argumentation, dass die Empörung nur Brandts Ego als im Bilde gewesener Bürgermeister betraf, der “über Offensichtliches dennoch belehrt werden musste” nicht ausreichend, um seine relativ steile Formulierung “Unterwerfungsbrief” nachvollziehbar zu kontextualisieren. Wenn Bahr seinen engen Weggefährten richtig zitiert, dann gingen diese “drei Briefe” und ihr Inhalt für Brandt weit über herkömmliche, Regionalpolitikern bestens bekannte, Formalitäten hinaus.
Aber der letzte Punkt des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages ist durchaus überzeugend. Falls Bahr aufrichtig von einer Furcht vor Deutschlands rasantem Souveränitätsverlust und einer patriotischen Sorge um sein Land motiviert gewesen war (was in jedem Fall weiterhin durchaus plausibel erscheint) – wäre es dann nicht äußerst naheliegend, den von Komossa in seinem Buch erwähnten Medienvorbehalt der alliierten Mächte über deutsche Zeitungs- und Rundfunkmedien bis ins entfernte Jahr 2099 auch bei der Jungen Freiheit oder später im Jahr 2014 beim Compact -Magazin, zu erwähnen? Es wären gute Gelegenheiten für eine starke Indizien-Bündelung von Argumenten gewesen, die durchaus unabhängig voneinander eine historische Kohärenz etabliert hätten. Diese Kohärenz ist zwar dennoch da, aber abgeschwächter, weniger fantastisch (das Jahr 2099) und mit gewisser Disharmonie versehen. Nämlich wegen des bisher nicht kraftvoll widerlegten Fälschungsvorwurfs gegenüber dem bisher einzigen Dokument, auf das man sich stützt und für das man bisher keine unabhängig etablierte Zweitquelle vorlegen konnte.
Ein zweites Fazit
Selbst wenn es die “Kanzlerakte” doch irgendwo im Äther deutscher Bürokratie verschleiert gäbe, hatte sie wenig Effekt auf Gerhard Schröder, der sich als Bundeskanzler 2003 gegenüber dem republikanisch regierten Washington D.C. weigerte, an der US-Invasion und -Okkupation des Iraks mit deutschen Truppen teilzunehmen. Womöglich war ihm aber die Gleichgesinntheit Frankreichs unter Jacques Chirac – wohlgemerkt Staatsoberhaupt von einem der drei westalliierten Länder, das über die BRD Hoheit haben soll – eine Stütze. Für die NATO-Bombardierung Belgrads unter Bill Clinton im Jahr 1999 wäre die hypothetische Kanzlerakte als diplomatischer Maulkorb wiederum ausreichend gewesen. Bräuchte man heute eine strenge “Kanzlerakte”, um den autonomen Freidenker-Rebellen Robert Habeck oder den BlackRock-Apostel Friedrich Merz in ihrer patriotischen Aufmüpfigkeit zu bändigen? – sicherlich nicht.
Vielleicht ist die Kanzlerakte einfach ein mächtiges, konstruiertes Sinnbild derer, die klar die Souveränität ihres geliebten Landes koppeln wollen an etwas mechanisch-formalistisches, klar in der Zeitgeschichte Nachkriegsdeutschlands Verortetes, um den tragischen Werdegang der eigenen Nation ab spätestens 1990 irgendwie zu rechtfertigen und zu rationalisieren?
Was ist, wenn sich die Deutschen auch ohne eine zusätzlich sterilisierende Verpflichtung, die von allen Kanzlern – von Adenauer bis Scholz – unterzeichnet wurde, indoktrinieren und kognitiv entwaffnen ließen? Hierfür gibt es Beweise, Belege und Indizien wie Sand am Meer.
Meinung Denn so wie es ist, kann es nicht bleiben – Deutschland auf dem Weg in den Obrigkeitsstaat
Der Autor dieses Textes ist überzeugt, dass eine solche Akte heute gar nicht mehr vonnöten wäre (sowie zu keinem Zeitpunkt im bisherigen 21. Jahrhundert), um Deutschland seine nationalen Interessen und seinen fundamentalen Selbsterhaltungstrieb vollkommen verdrängen zu lassen – und gleichzeitig die Diskursqualität so zu vergiften, dass nie eine größere Menge an Menschen in Deutschland hellhörig werden und nach einem wahrhaft souveränen Staat für sich trachten würde.
Dagegen sind die eigentlich zeitweilige Beschaffenheit (Art 146) und das Fortbestehen des BRD-Grundgesetzes, der UNO-Feindstaatenklausel für Deutschland (und Japan) sowie das Fehlen eines juristisch-völkerrechtlich unmissverständlichen Friedensvertrages für Deutschland (sofern man solch einen fundamentalen Status braucht, um die Hörigkeit und den Masochismus des eigenen Landes zu rationalisieren) Futter für Empörung genug. Die Erklärungen für die Genese des gestörten deutschen Selbstverständnisses sind eher in der kulturellen und politologischen Entwicklung, der zentralistischen Propaganda und cleveren, kulturellen Demoralisierung über viele Jahre – und der eigenen persönlichen Empfänglichkeit für ebendiese – zu suchen.
Dort viel mehr als bei einer von Adenauer erstmals unterzeichneten Kanzlerakte, da dieses Selbstverständnis sich wie ein systemisches Virus der Geister aller Deutschen bemächtigte. Man braucht keine “Kanzlerakte”, um klar zu erkennen, dass “die Medienhoheit der alliierten Mächte über deutsche Zeitungs- und Rundfunkmedien” langfristig fixiert und in vollem Betrieb ist. Jedenfalls werden kognitive Kriege an der eigenen Bevölkerung nicht lediglich mit einer Unterschrift alle vier Jahre vor Amtseid-Abgabe geführt. Das aber ist der Stoff, aus dem ein anderer Artikel gemacht ist. Mit einer Sache aber hatte die Kanzlerakte zumindest zur Hälfte recht: Die deutschen Goldreserven sind heute zu 50 Prozent in britischem und US-amerikanischem Besitz, beziehungsweise unter deren freundlicher, “alliierter Verwaltung”.
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.
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