Hauptstadt-Kälte: Rund 300.000 Berliner hatten im Vorjahr zu wenig Geld für die Heizkosten
Einen ersten Blick auf das, was die Daten in der Zukunft bringen werden, zeigt die Veränderung bei den Sorgen um den eigenen zukünftigen Lebensstandard, für deren Ermittlung das WSI auf eigene Daten zurückgreifen konnte. Hier wurden die Zahlen von 2023 mit jenen von 2020 verglichen. Wie sich zeigte, machten sich im Jahr 2020 48,8 Prozent der Armen Sorgen um ihre Zukunft, 2023 aber bereits 54,5 Prozent. Besonders auffällig ist aber die Veränderung der anderen Gruppen. In der Prekarität stieg der Anteil jener, die Zukunftssorgen haben, von 44,1 auf 58,2 Prozent; in der unteren Mitte von 36,2 auf 51,6 und in der oberen Mitte von 31,8 auf 46,7. Da diese Gruppen zusammen 80 Prozent der Bevölkerung umfassen, heißt das, 42,2 Prozent der gesamten deutschen Bevölkerung hatten 2023 sehr große oder große Sorgen um ihren künftigen Lebensstandard.
Übrigens – wir sind wieder im Jahr 2021 – unterscheidet sich die Art der Beschäftigung zwischen den verschiedenen Gruppen deutlich. Nur 24,1 Prozent der Armen haben eine unbefristete Vollzeitbeschäftigung, hingegen 64,8 Prozent der oberen Mitte. Nur halb so viele Angehörige der oberen Mitte haben keine engen Freunde (3,9 Prozent) wie der Armen (8,1 Prozent), und weniger als halb so viele (17,5 gegen 35,6) sind alleinstehend. Besonders groß ist der Abstand bei einem anderen Aspekt: Nur ein Prozent der oberen Mitte ist alleinerziehend, aber 6,3 Prozent der Armen.
Das WSI fügt diesem Befund anhand von Daten der Hans-Böckler-Stiftung Umfragewerte zur politischen Einstellung hinzu. Diese bestätigen, was bereits in anderen Studien vorgefunden wurde – und auch eigentlich logisch ist: Je niedriger das Einkommen, desto geringer die Zustimmung zu der Aussage “Die Demokratie in Deutschland funktioniert im Großen und Ganzen gut”, und desto geringer ist auch das Vertrauen in die Institutionen. So haben etwa doppelt so viele Arme (20,9 Prozent) kein oder nur geringes Vertrauen in die Polizei im Vergleich zur oberen Mitte (10,6 Prozent). Beim Anteil der Nichtwähler verhält es sich ähnlich (19,9 Prozent zu 10,9 Prozent).
Interessant ist auch der Datenanhang der Studie. Zwar bestätigt sich der erwartete Zusammenhang zwischen geringer Bildung und Armut, aber er ist bei weitem nicht so stark, wie die meisten erwarten dürften: 60,5 Prozent der Armen haben einen Berufsabschluss, 11,5 Prozent sogar einen Hoch- oder Fachhochschulabschluss.
Zahl der auf Sozialhilfe angewiesenen Rentner steigt auf neuen Rekordwert
Während der neue Bericht des WSI ein weiteres Mal bestätigt, dass die Armut in Deutschland kontinuierlich zunimmt, weckt er auch Befürchtungen, wie es um die aktuellen Verhältnisse bestellt ist. Denn die Entwicklung ab 2022 wird nicht nur die Zahl derjenigen in die Höhe getrieben haben, die besorgt in die Zukunft blicken; sie wird auch den Anteil der Armen in Deutschland weiter erhöht haben. Was dann logischerweise das Vertrauen in die Politik und die Institutionen in Deutschland weiter verringert – warum schließlich sollte man Menschen vertrauen, denen die zunehmende Armut gleichgültig ist?
Die politischen Forderungen, die am Ende des Berichts aufgestellt werden, kollidieren jedenfalls deutlich mit den Reaktionen der Politik auf die einbrechenden Einnahmen. So wird etwa darauf hingewiesen, dass ein “funktionierender, verlässlicher ÖPNV” für Arme unverzichtbar ist. “Menschen mit sehr niedrigen finanziellen Ressourcen können Defizite in der öffentlichen Infrastruktur nicht durch eigene Ressourcen kompensieren, sie können eben nicht auf oftmals teure private Alternativen ausweichen.”
Derzeit ist die regierende Koalition aber eher mit Kürzungsvorschlägen beschäftigt.
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