Quelle: Gettyimages.ru © DonNichols Eine verlassene Tankstelle im Bundesstaat Ohio, USA.
Von Sergei Sawtschuk
Wir haben das Glück, in einer interessanten Zeit zu leben. Die Generation der heute 40- bis 60-Jährigen konnte mit eigenen Augen die Entstehung und Entlarvung grundlegender Mythen miterleben, die dazu dienten, Imperien zu zerstören und das Massenbewusstsein zu verändern.
Nun hat die westliche Presse an nur einem Tag, buchstäblich im Abstand von ein paar Stunden, eine ganze Reihe aufschlussreicher Veröffentlichungen abgefeuert.
Erstens haben die USA endlich die Zahlen für das vergangene Jahr vorgelegt, und es stellte sich heraus, dass die lokalen Gasproduzenten im Jahr 2023 die Schwelle von einer Billion Kubikmetern Erdgasförderung überschritten haben. Dies ist ein absoluter historischer Rekord, der von keinem anderen Land auch nur annähernd erreicht wird. Russland beispielsweise, das in der Weltrangliste an zweiter Stelle steht, kommt im selben Zeitraum auf knapp mehr als 60 Prozent dieser Fördermenge, Iran und China, die auf den darauffolgenden Plätzen liegen, jeweils auf etwas mehr als ein Viertel.
Wagenknecht: Bei teurem US-Fracking-Gas ist den Grünen der Klimaschutz plötzlich egal
Zweitens berichtete die Energy Information Agency unter Berufung auf das US-Energieministerium freudig, dass die Vereinigten Staaten im vergangenen Jahr täglich mehr als sechs Millionen Barrel Rohöl und Erdölprodukte ins Ausland verkauft haben. Das sind fast drei Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Im selben Bericht heißt es, dass die amerikanischen Unternehmen ein weiteres dickes Plus verbuchen konnten, nämlich tägliche Exporte von 900.000 Barrel fertigen Benzins, was zehn Prozent des Inlandsverbrauchs entspricht. Die hochoktanige amerikanische Welle hat sich eine Nische von 16 Prozent auf dem Weltmarkt erobert.
Die westlichen Autoren werden natürlich alle damit verbundenen Andeutungen und Assoziationen sorgfältig vermeiden, aber wir können es ganz unverblümt aussprechen: Die USA haben alle Anstrengungen unternommen, um zur größten Tankstelle der Welt zu werden. Außerdem sind sie sehr stolz darauf und werden in ihren Bemühungen nicht nachlassen.
Es ist amüsant zu beobachten, wie Menschen selbst innerhalb eines Landes ein und dieselben Phänomene auf diametral entgegengesetzte Weise wahrnehmen. Vor etwas mehr als einem Jahrzehnt kam ein hochrangiger amerikanischer Vertreter nach Kiew und sagte in amerikanischer Pathos-Manier, Russland sei keine Supermacht, sondern lediglich eine “Tankstelle mit Atomwaffen”. Ein anderer US-Politiker nannte uns eine “Tankstelle, die vorgibt, ein Land zu sein”. Diese Metaphern haben sich sofort verfestigt und eingeprägt, sie wurden zur Schlagwaffe im propagandistischen und ideologischen Krieg der Russlandhasser, und das kollektive Russland müht sich bis heute ab, der Welt zu beweisen, dass es nicht nur im Handel mit Kohlenwasserstoffen stark ist.
Analyse
“Tankstelle mit Atombomben”: Wie Borrell lahme russophobe Klischees aktualisiert
Am auffälligsten ist, dass es unter uns selbst Mitbürger gibt, die sich für die Förderung und den Verkauf von Kohlenwasserstoffen schämen, sie zum Horror, Albtraum und zur Erniedrigung erklären, während Amerika und der Westen für sie Leuchttürme des Fortschritts, der Entwicklung und einer glänzenden Zukunft sind. Jeder Versuch, an die Logik zu appellieren, wird mit dem Ideologem “Du verstehst das nicht, das ist etwas anderes” beantwortet.
Auf derselben Stufe stehen Mitmenschen, die mit der Erschließung des heimischen Untergrunds grundsätzlich unzufrieden sind und eine Reduzierung der Kohleförderung und des Abpumpens von Öl und Gas fordern. Natürlich zum Wohle ihrer Kinder und Enkelkinder, denen ja “nichts bleiben wird”. Keiner dieser wunderbaren Menschen gibt jedoch eine Antwort auf die Frage, wie sie den gewohnten technischen und häuslichen Komfort aufrechterhalten wollen, mit Strom rund um die Uhr, warmem Wasser, Auto- und Flugverkehr, Internet, asphaltierten Straßen und einer Million anderer Dinge, die längst alltäglich geworden sind und an die sich das Auge und das Denken nicht klammern.
Lassen Sie uns vielleicht mit der Erwiderung auf die letztgenannte Kritik beginnen.
In der modernen Geologie gibt es keinen Konsens über die Horizonte der Erschöpfung der Kohlenwasserstoffreserven in der Welt allgemein und in Russland im Besonderen. Alle einprägsamen Schlagzeilen des Formats “Öl nur noch für 30 Jahre” dienen nur dazu, die Ansichten aufzublähen, ohne darüber zu informieren, dass wir dabei immer über aktive Felder und förderbare Reserven sprechen. Gleichzeitig werden jeden Tag neue Felder entdeckt und bilanziert, verschieben sich die Reserven und das Datum des Öl-Ragnaröks automatisch um dieselben 30 bis 50 Jahre nach rechts.
Deutschland: 110 Milliarden Mehrausgaben für Energie seit Sanktionsbeginn
Außerdem herrscht in der Wissenschaft keine Einigkeit darüber, dass Kohlenwasserstoffe grundsätzlich erschöpfbar sind. In den letzten Jahren hat die Theorie ihrer natürlichen Erneuerung innerhalb der Erdkruste im Zuge tektonischer und anderer Prozesse an Popularität und Anhängern gewonnen. Die Befürworter der gegensätzlichen wissenschaftlichen Lager stützen sich auf die Annahmen des Nahbereichs und der Computermodellierung, sind sich allerdings einig, dass mit zunehmender Ausbeutung immer weniger leicht abbaubare Reserven übrig bleiben und die Menschheit nach Kohlenwasserstoffen immer tiefer graben muss.
Nichts geklärt ist auch in Bezug auf die viel propagierte globale Erwärmung. Sie hat die Angst vor dem Ozonloch abgelöst, das durch den Gebrauch von Kühlschränken größer werde, weshalb bald schon jeder von uns von kosmischer Strahlung gegrillt werden würde. Kürzlich ging ein Vortrag des ehrwürdigen amerikanischen Geologen Gregory Wrightstone viral. Darin weist er anhand von Zahlen aus Langzeitbeobachtungen nach, dass die derzeitige Klimaerwärmung nicht die Folge von Industrialisierung und Urbanisierung ist, sondern ein natürlicher Rollback nach der Kleinen Eiszeit, die Ende des vorletzten Jahrhunderts endete. Außerdem sei der CO2-Gehalt in der Erdatmosphäre heute auf einem der niedrigsten Werte, die jemals auf unserem Heimatplaneten gemessen wurden.
Moderne Forschungen haben bewiesen, dass der Kohlendioxidgehalt während des Kambriums im Paläozoikum, also in der Zeit, in der der Planet einen globalen “Babyboom” aller denkbaren Lebensformen erlebte, sechsmal so hoch war und dass die nachfolgenden Perioden des Massenaussterbens gerade von einem Rückgang des CO2-Gehalts begleitet wurden. Wrightstone hält das derzeitige grüne Bacchanal mit dem obligatorischen Verzicht auf Kohlenwasserstoffe für das Werk von Großkonzernen, die das Massenbewusstsein manipulieren.
Analyse
Unter dem Radar: UN-Zukunftspakt über Globalherrschaft beschlossen
Patrick Moore, ehemaliger Leiter von Greenpeace Kanada, schließt sich dieser Meinung an. In einem Interview sagte er kürzlich, dass es keine wissenschaftlichen Beweise für einen Zusammenhang zwischen dem Anstieg der CO2-Emissionen und der Erwärmung der Atmosphäre gebe.
Last but not least: Alle entwickelten und vor allem alle reichen Länder, darunter die Vereinigten Staaten, China und die Länder des Persischen Beckens, bauen zunehmend Mineralien ab. Ein Teil der geförderten Mineralien wird zur Deckung des Eigenbedarfs verwendet, ein anderer ins Ausland verkauft und füllt die Haushaltskassen mit Devisen auf. Länder wie Katar, Oman, die Vereinigten Arabischen Emirate und jetzt auch die Vereinigten Staaten sind nicht im Geringsten verlegen, erhöhen ständig den Anteil der Einnahmen aus dem Brennstoffgeschäft an der Struktur ihrer Volkswirtschaften und träumen davon, neue Märkte zu erobern. Denn das bringt Macht, geopolitischen Einfluss und eine Menge Geld. Logischerweise brauchen sie bei diesem Marathon keine starken Konkurrenten wie Russland. Deshalb wird eine aggressive Gehirnwäsche mit einem modischen Narrativ betrieben, das die “Rückständigkeit” der Russen betont.
Zur selben Zeit bohren, graben und pumpen all die “Fortschrittlichen”, was das Zeug hält, ohne sich im Geringsten dafür zu schämen. Ist es vielleicht auch für uns an der Zeit, jede Scham abzulegen?
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 28.09.2024 bei RIA Nowosti erschienen.
Quelle