Meinung

Zeit für eine Wiederholung? 235 Jahre Erstürmung der Bastille

Zeit für eine Wiederholung? 235 Jahre Erstürmung der Bastille

Quelle: Gettyimages.ru © Tetra ImagesDie französische Trikolore über den Dächern von Paris

Von Anton Gentzen

Die französische Nationalhymne, die Marseillaise, hat offiziell sieben Strophen: sechs originale aus der Zeit der Französischen Revolution und der Kriege, die sie auslöste; eine weitere, die “Hymne der Kinder”, wurde später zusätzlich gedichtet. 

Emmanuel Macron, seines Zeichens amtierender Präsident der französischen Republik, kennt nur die erste. Man merkt es an seinen komplett unpassenden Lippenbewegungen, wenn an großen Feiertagen ausnahmsweise mal drei Strophen aufgeführt werden. Die wahrscheinlich wichtigste wurde schon lange nicht mehr gesungen, dabei sollten sie gerade Macron und jeder andere Machthaber dieser Welt auswendig kennen.

Zittert, Tyrannen und ihr Niederträchtigen,
Schande aller Parteien,
Zittert! Eure verruchten Pläne
Werden euch endlich heimgezahlt!
Jeder ist Soldat, um euch zu bekämpfen,
Wenn sie fallen, unsere jungen Helden,
Zeugt die Erde neue,
Die bereit sind, gegen euch zu kämpfen. 


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Das ist sie, die drohende Faust der Naturgewalt namens “Revolution” und es ist kein Wunder, dass die herrschenden Eliten nicht nur in Frankreich sie uns lieber vergessen lassen würden. 

Die natürlichen Gesetze der Elitenbildung und ihrer Reproduktion führen unweigerlich dazu, dass ebendiese Eliten von Generation zu Generation immer mehr degenerieren. Gleichzeitig klammern sie sich von Generation zu Generation immer ideenreicher an die Macht, verbauen dem Neuen jede Aufstiegschance und versperren sich jeder grundlegenden Veränderung. Die von ihnen im Würgegriff gehaltene Gesellschaft stagniert, verläuft sich, wird zubetoniert und geht schließlich zugrunde.

Aus diesem Kreislauf des Niedergangs kennt die Geschichte nur einen Ausweg: aufräumen mit den alten Eliten, die sich an den Futtertrögen der Macht festgesaugt haben; und die dabei, wie es in einer anderen Strophe der Marseillaise heißt, “die Brust ihrer Mutter zerreißen”. 

Genau das und nichts anderes hat in Frankreich vor 235 Jahren begonnen: ein gewiss schmerzhafter, aber unvermeidbarer Prozess, um die verkommenen und degenerierten, fett gefressenen und unfähigen Eliten von der Macht zu entfernen. Komplett, ausnahmslos, tabula rasa. Alles wegfegen, reinen Tisch machen, das ist Revolution. Revolution, weil es nicht mehr anders vorangeht und jeder das Dahinsiechen buchstäblich am eigenen Leib spürt.

Und siehe da: Nachdem aufgeräumt war, öffneten sich neue Wege und es ging weiter, wo man in einer Sackgasse festzustecken schien.

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Nein, der Aufstieg neuer Eliten war nicht geradlinig und keine reine Erfolgsstory. Es gab Fehler, Rückschläge, Blut, Bruderzwist, Kriege, Nöte, Verrat und zwischenzeitliches Scheitern mitsamt der Wiederherstellung der Monarchie für einige Jahrzehnte. Aber unbestritten ist, dass das, was unter all diesen Geburtsschmerzen entstand, besser, fortschrittlicher und lebensfähiger war als das abgewirtschaftete Ancien Régime, das alte Regime. 

Wie lange dauert der große historische Zyklus, bis die neuen Eliten ähnlich degeneriert sind wie die alten? Bis die Situation wieder festgefahren ist und man das Gefühl hat, in Beton festzustecken. Bis es wieder Zeit ist, Tabula rasa zu machen, komplett aufzuräumen mit den “Schandmäulern jeder Partei”?

Schaut man sich den Zustand der aktuellen Eliten in Frankreich an, die sich soeben mit polittechnologischem Geschick erneut an der Macht halten konnten, möchte man sagen: 235 Jahre.

Heilige Liebe zum Vaterland,
Führe und stütze unsere rächende Hand.
Freiheit, geliebte Freiheit,
Kämpfe mit deinen Verteidigern!
Kämpfe mit deinen Verteidigern
Unter unseren Fahnen, damit der Sieg
In den Schrei deiner Männer einstimmt.
Mögen deine sterbenden Feinde
Deinen Triumph und unseren Ruhm sehen! 

Am 14. Juli 1789 erstürmte das Pariser Volk die Bastille. 

Quelle

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